Verantwortungsdiffusion: zum Wandel des Verhältnisses von Haftung und Verantwortung in globalen Sicherheitsarchitekturen

Dr. Valentin Rauer

In den letzten Jahrzehnten lässt sich eine globale Entgrenzung von Sicherheitsordnungen beobachten. Digitale robotische Plattformen steuern den Kauf und Verkauf von Währungen in Millisekunden, oder sie töten als so genannte ‚Kampfdrohnen‘ einzelne Menschen über kontinentale Distanzen hinweg. Mit solchen robotischen Transaktionsketten wird ein Teil der Entscheidungsgewalt von Menschen auf autonom handelnde Plattformen übertragen. Diese Übertragungen haben brisante Konsequenzen für die normativen Ordnungen moderner Gesellschaften. Sie verhindern nämlich, dass Ereignisse und Entwicklungen eindeutig auf Handlungen und Entscheidungen individueller oder juristischer Personen zurückgeführt werden können und verändern den Status von dessen was wir als ‚Akteure` verstehen (Teubner 2007). Beispielsweise ist unklar, wer für das Handeln von Kampfdrohnen verantwortlich ist  – die CIA, der Präsident, die Armee, der Pilot an den Joysticks oder der Programmierer des digitalen Algorithmus? Alle diese Akteure sind an der Transaktionskette beteiligt  – doch wer haftet im Falle eines Versagens und wer trägt die öffentliche und moralische Verantwortung? Dieses im Forschungsfeld 3 angesiedelte Projekt fragt also nach den Verantwortungskonstellationen in globalen Sicherheitsregimen in Zeiten zunehmender Digitalisierung (Kooperation mit Prof. C. Daase; Prof. Gunther Hellmann, Dr. Thorsten Thiel).

Zwischenergebnisse: Zunächst wurden zwei Grenzlogiken unterschieden: lineare versus zonale Grenzlogiken. Lineare Grenzziehungen artikulieren eine Differenz zwischen Menschen und Maschinen als ein Entweder-oder  und operieren mit einer Logik der Differenz zwischen menschlichen Akteuren einerseits und Maschinen andererseits. Als Verantwortlich gelten dann lediglich die menschlichen Akteure, digitale Infrastrukturen geraten aus dem Blick.  Zonale Grenzziehungen deuten die Akteure diffuser als Konstellation eines Sowohl-als-auch. Diese Akteure gelten hier als Hybride und öffnen sich für eine Variation politisch umkämpfter Zuschreibungsmodi von Handlungsträgerschaften.

Die wichtigsten Publikationen zur Darlegung der Zwischenergebnisse:

Rauer, Valentin: „Zentrierte und diffundierende Schuld. Ein soziologische Perspektive“, in: T. Moos/S. Engert (ed.): Vom Umgang mit Schuld, Frankfurt/M: Campus, 2016, pp. 301 -330.

Junk, Julian & Valentin Rauer: Combining methods: connections and zooms in analysing hybrids. In: G. Schlag/J. Junk/C. Daase (eds.): Dialogues on Security. Identity and Diversity in Security Studies, London: Routledge, 2015, pp. 225 -241.

Rauer, Valentin: „Diffusion von Verantwortung und Haftung in komplexen Handlungszusammenhängen“, in: C. Daase, Stefan et al. (eds.): Politik und Unsicherheit, Frankfurt/M: Campus, 2014, pp. 105 -118.

Weitere Publikationen sind aktuell im Druck und Begutachtungsverfahren.

Die wichtigsten Veranstaltungen und Vorträge:

Konferenz: „Politik und Verantwortung. Analysen zum Wandel politischer Entscheidungs- und Rechtfertigungspraktiken“. 9-12. Februar 2016, Autorentagung aufgrund der Einwerbung eines Special Issues der PVS 2017 (Politischen Vierteljahresschrift) in Kooperation und Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Christopher Daase, Dr. Stefan Kroll (beide Cluster Forschungsfeld 3) und Julian Junk (HSFK).

„Superforcasting. Zur Soziologie der Vorhersage“. Workshop in der Reihe „Normative Disorders“ – Materialismus und politisches Handeln. (Organisiert von Dr. Kolja Möller, Postdoc, Kooperation Cluster Forschungsfeld 3) Exzellenzcluster „Normative Orders“, Goethe-Universität Frankfurt/M, 16. Dezember 2015.

„Responsibility in Risk- and Security Communication“ (Vortrag mit C. Daase). Auf dem Workshop Security Communication in Democracies: Security, Order, and Legitimacy in World Politics. Workshop, Cluster of Excellence „The Formation of Normative Orders“, Goethe University, Frankfurt/ Main, Bad Homburg, 5 ‐ 7 November 2015. Organisiert von Prof. Dr. Gunther Hellmann, Kooperation im Cluster Forschungsfeld 3.

Algorithmisches Handeln und das Problem der Verantwortungsdiffusion. Auf dem Kolloquium für Internetforschung des Cluster of Excellence „The Formation of Normative Orders“, Goethe University, Frankfurt/ Main , Organisiert von Dr. Matthias Kettelmann und Dr. Thorsten Thiel (Kooperation im Cluster).

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

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