05.09.2025
Portrait

Frankfurter Gesichter: Sybille Steinbacher

Dachau, die Stadt mit dem berüchtigten Konzentrationslager, hat den Lebensweg der 1966 in München geborenen Sybille Steinbacher entscheidend beeinflusst. Als junge Frau erarbeitete sie mit anderen Geschichtsinteressierten eine Ausstellung mit dem Titel „Dachau ist somit judenfrei“. Zudem engagierte sie sich in einem Förderverein, der in der bayerischen Stadt eine internationale Jugendbegegnungsstätte einrichten wollte. Die in Dachau regierende CSU lehnte das Vorhaben mit dem Argument, eine solche Begegnungsstätte schade dem Ruf der Stadt, entschieden ab.

Diese Erfahrungen veranlassten Steinbacher, die damals in München Geschichte und Politik studierte, ihre Magisterarbeit über Dachau während des Nationalsozialismus zu schreiben. Sie erschien 1993 als Buch mit dem Titel „Dachau – die Stadt und das Konzentrationslager in der NS-Zeit“ und war eine der ersten Untersuchungen, die das soziale Umfeld eines solchen Lagers in den Blick nahm. Das Werk fiel dem Historiker Norbert Frei, der damals Mitarbeiter am Münchner Institut für Zeitgeschichte war, positiv auf. Er lud Steinbacher zur Teilnahme an seinem Forschungsprojekt über Auschwitz ein.

Professor Frei wurde nicht nur ihr Doktorvater, sondern auch ihr Mentor, dem sie 1997 als wissenschaftliche Mitarbeiterin nach Bochum und 2005 nach Jena folgte. Ihre 1998 veröffentlichte Dissertation „Musterstadt Auschwitz“ über die nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Oberschlesien war die Basis für eine wissenschaftliche Karriere, die sie schließlich nach Frankfurt führte, wo sie das Fritz-Bauer-Institut als Direktorin leitet und als Professorin am Historischen Seminar lehrt.

Wer glaubt, Steinbacher sei ausschließlich auf die NS-Zeit fixiert, der hat ihre Habilitationsschrift nicht gelesen. Denn darin beschäftigt sich die Historikerin mit dem Thema Sexualität. Der Titel dieses Werkes, das 2011 im Siedler-Verlag erschien, lautet „Wie der Sex nach Deutschland kam“ und behandelt den Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, einer Zeit, die äußerst prüde war.

Frankfurt hat sie zum ersten Mal 2010 als Gastprofessorin am Fritz-Bauer-Institut kennengelernt, allerdings nur ein Semester lang. Danach folgte sie einem Ruf nach Wien an das Institut für Zeitgeschichte, wo sie bis 2017 forschte und lehrte. Ihr kurzes Frankfurter Gastspiel scheint aber bei den politisch Verantwortlichen Eindruck hinterlassen zu haben. Denn 2017 holten der damalige Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) und die Universitätspräsidentin Birgitta Wolff die NS-Expertin in die Mainmetropole, wo sie seither die neu geschaffene Holocaust-Professur bekleidet, die mit der Leitung des Fritz-Bauer-Instituts verbunden ist.

„Es ist eine Freude, hier zu arbeiten“, sagt Steinbacher, deren Verdienst es ist, die Verbindung des Instituts mit dem Historischen Seminar der Universität gefestigt und das Forschungsprogramm des Instituts erweitert zu haben. Wie anerkannt dessen Arbeit ist, zeigt das Ergebnis der wissenschaftlichen Evaluierung 2022. In der Überschrift des Berichts heißt es: „Kleines Institut mit großer Leistung“. Maßgeblich mitverantwortlich für diesen Erfolg ist zweifellos die fleißige und zielstrebige Direktorin. Steinbacher geht in ihrer Arbeit auf und verfolgt bis heute hartnäckig ihr damals in Dachau gestecktes Ziel: den Nationalsozialismus immer genauer zu erforschen und die nachfolgenden Generationen über dessen barbarische Herrschaft aufzuklären. Diese Arbeit hält sie angesichts des Erstarkens neonazistischer und nationalistischer Kräfte für wichtiger denn je.

HANS RIEBSAMEN

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

Veranstaltung
19.11.2025 | Frankfurt am Main

Unerwünscht. Die westdeutsche Demokratie und die Verfolgten des NS-Regimes

Buchvorstellung

Der Vortrag von Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum schildert die Erfahrungen von überlebenden Juden und Sinti und Roma, von ehemaligen Zwangsarbeitern und Homosexuellen in Westdeutschland in der Nachkriegszeit.

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News
04.09.2025

Rainer Forst mit Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet

Am 4. September 2025 wurde der politische Philosoph und Direktor des Forschungszentrums Normative Ordnungen Prof. Dr. Rainer Forst mit der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet. Mit dieser Ehrung würdigt die Stadt Persönlichkeiten, die durch ihr wissenschaftliches Werk und/oder ihr öffentliches Wirken weit über die Grenzen Frankfurts hinaus Maßstäbe gesetzt haben.

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Veranstaltung
15.10.2025 | Frankfurt am Main

Aufrecht. Überleben im Zeitalter der Extreme

Buchvorstellung

In ihrem jüngsten Werk begibt sich Lea Ypi auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familie und verknüpft persönliche Erinnerungen mit den großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Das Forschungszentrum Normative Ordnungen lädt gemeinsam mit dem Netzwerk FrauenmitFormat, dem Honorarkonsulat der Republik Albanien in Frankfurt am Main und dem Suhrkamp Verlag herzlich zur Vorstellung des neuen Buches von Prof. Dr. Lea Ypi mit anschließender Diskussionsrunde mit Prof. Dr. Lea Ypi, Honorarkonsulin Dr. Jonela Hoxhaj und Prof. Dr. Rainer Forst unter der Moderation von Rebecca C. Schmidt ein.

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Publikation
02.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration

Schmid, Lukas; Ruhs, Martin; Bauböck, Rainer; Mourão Permoser, Julia (2025): “Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration”. In: Ethics & International Affairs, 39 (1), S. 26-36.

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Publikation
01.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Roundtable: Ethical Dilemmas and Migration Policymaking

Schmid, Lukas; Ruhs, Martin; Bauböck Rainer, Mourão Permoser, Julia (Hrsg.) (2025): "Roundtable: Ethical Dilemmas and Migration Policymaking". In: Ethics & International Affairs, 39 (1)

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News
21.08.2025

Pavan Malreddy erhält Heisenberg-Förderung

Der Wissenschaftler erhält die Förderung aus dem Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ein Forschungsprojekt zu Ethik und Ästhetik von zeitgenössischen literarischen Migrantenkulturen.

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Publikation
21.08.2025 | Sammelband

Autoritäre Treiber eines Systemwechsels. Zur Destabilisierung von Institutionen durch die AfD

Frankenberg, Günter; Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) (2025): Autoritäre Treiber eines Systemwechsels. Zur Destabilisierung von Institutionen durch die AfD. Campus Verlag.

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News
31.07.2025

Zukunft gestalten – Ein Rückblick

Im Rahmen der Ausstellung „Fixing Futures. Planetare Zukünfte zwischen Spekulation und Kontrolle“ fand unsere vierteilige Vortragsreihe „Zukunft gestalten – Zwischen Klimawandel, Technologie und gesellschaftlicher Verantwortung“ statt.

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News
30.07.2025

Was bleibt von "1968"? – Veranstaltungsrückblick

Was können wir aus der 68er-Bewegung für unsere eigene Zeit lernen und wo braucht es vielleicht neue Ideen und Utopien? Diesen Fragen widmete sich die Veranstaltung "Utopie und Aufbruch der 1968er – Was von politischer Rebellion und individueller Selbstbefreiung geblieben ist" am 14. Juli 2025 im Historischen Museum

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