FRANKFURT Viele Unis haben festgelegt, dass ihre Forschung nur friedlichen Zielen dienen darf. Hier erklären die Politologen Nicole Deitelhoff und Christopher Daase, warum dies keine Kooperationen mit dem Militär verbietet.
Frau Deitelhoff, Herr Daase, Putin bedroht Europa, die Bundeswehr soll so schnell wie möglich kriegstauglich werden. Doch die Universität Frankfurt und andere Hochschulen halten daran fest, dass ihre Forschung und Lehre nur „zivilen und friedlichen Zwecken“ dienen solle. Wie zeitgemäß sind solche Selbstverpflichtungen noch?
Deitelhoff: Ich glaube, sie sind immer noch sehr zeitgemäß. Man muss bedenken, vor welchem historischen Hintergrund solche Zivilklauseln entstanden sind. Der Nationalsozialismus hat auch die Wissenschaft für seine Zwecke instrumentalisiert, und nach dem Zweiten Weltkrieg wollten Hochschulen nie wieder Teil einer aggressiven Kriegsmaschinerie sein.
Aber Deutschland ist seit mehr als 75 Jahren eine Demokratie, und die Bundeswehr ist Bestandteil eines demokratischen Staats. Sie dient der Verteidigung und nicht dazu, andere Länder zu überfallen. Da ist es doch legitim, dass an Universitäten auch Forschung betrieben wird, von der eine Verteidigungsarmee profitieren kann.
Deitelhoff: Das schließt sich auch nicht aus. In der Selbstverpflichtung auf friedliche Zwecke schwang immer mit, dass die Wissenschaft der Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu dienen hat. In diesem Sinne muss man auch die Zivilklauseln der Hochschulen verstehen. Sie verbieten Sicherheitsforschung nicht generell, sondern erlauben sie, solange sie der Abwehr innerer und äußerer Feinde dient. Im Übrigen können Zivilklauseln sowieso nicht die Freiheit von Forschung und Lehre einschränken, denn diese hat Verfassungsrang.
Ich glaube nicht, dass die vehementen Befürworter von Zivilklauseln diese so auslegen wie Sie. Unter ihnen sind viele Radikalpazifisten, die jede Art von Sicherheitsforschung verwerflich finden, weil sie aus ihrer Sicht der „Militarisierung“ der Gesellschaft dient.
Daase: Da haben Sie recht. Aber es gibt auf beiden Seiten Fehlwahrnehmungen der Zivilklausel. In der Industrie gibt es die irrige Annahme, dass Zivilklauseln den Hochschulen Kontaktverbote zu Rüstungsunternehmen und zur Bundeswehr auferlegten. Das ist Unsinn. Und auch bei Studierenden gibt es völlig verfehlte Vorstellungen: Manche glauben, mit Zivilklauseln könne die Forschung von Professorinnen und Professoren eingeschränkt werden, und man könne sie beliebig verschärfen. Das ist rechtlich gar nicht möglich und angesichts der sicherheitspolitischen Lage auch nicht sinnvoll.
Die Universität Kassel behauptet, sie biete „kaum Anknüpfungspunkte für militärische Forschung“, obwohl in der Stadt Werke der Rüstungskonzerne Rheinmetall und KNDS ansässig sind. Eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit KNDS hat die Uni 2021 auf Wunsch des Senats gekündigt – mit Verweis auf ihre Selbstverpflichtung. Also wirken Zivilklauseln doch als Kooperationsbremse.
Deitelhoff: An der Universität Kassel können nach wie vor Mitarbeiter und Auszubildende aus Rüstungsunternehmen studieren. Gestoppt wurde nur der finanzielle Beitrag dieser Firmen dazu. Geld von Rüstungskonzernen anzunehmen, hätte aus Sicht der Hochschule gegen die Zivilklausel verstoßen.
Das hessische Wissenschaftsministerium hat den Hochschulen des Landes angeboten, ihnen juristisch bei der Überprüfung ihrer Zivilklauseln zu helfen, falls sie solche haben. Bisher hat diese Offerte keine große Resonanz gefunden.
Deitelhoff: Die Universitäten brauchen keinen Nachhilfeunterricht, was Zivilklauseln angeht. Sie wussten schon, was sie taten, als sie sie eingeführt oder abgeschafft haben oder wenn sie andere Kontrollinstrumente geschaffen haben wie zum Beispiel Ethikkommissionen für Sicherheitsforschung.
Wenn Sie meinen, die Zivilklauseln seien gar nicht so bedeutsam – worauf kommt es denn aus Ihrer Sicht beim Thema Sicherheitsforschung an Hochschulen wirklich an?
Daase: Es ist unstrittig, dass sich die sicherheitspolitische Lage verändert hat. Und dass sich die Universitäten infolgedessen auch an Sicherheits- und Verteidigungsforschung beteiligen müssen, ist, glaube ich, auch Konsens. Die Frage ist, wie gewährleistet wird, dass diese Forschung ohne große Risiken abläuft. Es besteht ja die Gefahr, dass sicherheitsrelevante Forschungsergebnisse von feindlichen Ländern oder von Kriminellen abgegriffen werden. Und es muss gleichzeitig sichergestellt sein, dass die Sicherung solcher Forschung nicht auf Kosten der Wissenschaftsfreiheit geht.
Deitelhoff: Wenn Sie sich anschauen, wie breit Zivilklauseln formuliert sind, dann können Sie da alles Mögliche drunter fassen. Wir müssten aber den einzelnen Forschern mehr Sicherheit geben, dass sie das Richtige tun. Eine Möglichkeit dazu ist die Einrichtung von spezialisierten Ethikkommissionen, die es noch nicht in allen Hochschulen gibt. In anderen Forschungszweigen überprüfen wir seit Jahren, ob wir unsere Daten und Labore richtig schützen; in der Sicherheitsforschung gibt es da zum Teil noch Defizite. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir da Verbesserungen hinbekommen, auch über die Grenzen von Einrichtungen hinweg.
Wenn Sie jetzt weitere spezialisierte Ethikkommissionen fordern, werden viele Leute sagen: Oh nein, bitte nicht noch ein Gremium.
Deitelhoff: Ja, aber wenn wir mehr Regulierung wollen, dann wird es auch mehr Bürokratie geben. Dafür gibt es in der Wissenschaft andere Bereiche, in denen Bürokratie abgebaut werden kann, zum Beispiel bei den Berichtspflichten.
Die Ethikkommission der TU Darmstadt hat seit 2014 etwa 20 Fälle mit Bezug zur Zivilklausel behandelt; nur drei Anträge auf Forschungsvorhaben sind abgelehnt worden. Ist das ein Beweis dafür, dass die Zivilklausel kein ernsthaftes Hindernis darstellt? Oder trauen sich Forscher erst gar nicht, potentiell heikle Projekte vorzuschlagen?
Deitelhoff: Für die TU würde ich das bezweifeln. In Darmstadt sind die Ingenieur- und Computerwissenschaften stark, durch die Fraunhofer-Institute gibt es eine große Nähe zur angewandten Forschung. Da würde ich nicht an eine Schere im Kopf glauben. Ich gehe vielmehr davon aus, dass die meisten Projekte, die dort aufgelegt werden, die Zivilklausel – wenn man sie so auslegt, wie auch wir es tun – überhaupt nicht angreifen.
Daase: Klar ist aber auch, dass Universitäten in der Sicherheitsforschung, je stärker sie in Richtung Verteidigungsforschung geht, die Sicherheit der Forschung selbst nicht mehr in jedem Fall gewährleisten können. Da brauchen wir dann wahrscheinlich wirklich so etwas wie die angedachten Innovation Hubs, in denen Universitäten – gegebenenfalls auch außerhalb des Campus – ihre Expertise bündeln und Forscher unter besonders hohen Sicherheitsvorkehrungen arbeiten können.
Abgesicherte Areale, auf denen Forscher an Projekten mit Militärbezug arbeiten, großzügig vom Staat und womöglich aus der Wirtschaft finanziert – darüber wird sich der Pazifistenchor lautstark empören.
Deitelhoff: Natürlich wird es darüber Diskussionen geben, aber das müssen wir aushalten. Es gibt gute Gründe dafür, mehr in Sicherheits- und Verteidigungsforschung zu investieren. Aber wir müssen das, was wir tun, auch immer wieder hinterfragen. Dafür brauchen wir die pazifistischen Stimmen, auch wenn viele sie als vorgestrig empfinden.
Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen legitimer militärischer Forschung und solcher, die Sie ethisch bedenklich finden?
Daase: Das ist eine schwierige Frage, die nur im Einzelfall entschieden werden kann. Professorinnen und Professoren sind in ihrer Forschung frei; Grenzen zieht zunächst einmal nur das Grundgesetz: Es ist verboten, einen Angriffskrieg vorzubereiten. Aber es gibt überhaupt keinen Grund, Kooperationen mit der Bundeswehr oder mit Rüstungsfirmen grundsätzlich auszuschließen.
Die Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen ist – wie auch der Ukrainekrieg zeigt – obsolet. Das heißt, man könnte an allen Waffensystemen forschen, die nicht wie etwa Atom-, Chemie- oder Biowaffen geächtet sind?
Deitelhoff: Richtig. Deutschland ist zum Beispiel der Besitz von Nuklearwaffen völkerrechtlich verboten; eine Forschung zur Entwicklung von Nuklearwaffen würde folglich gegen internationales Recht und selbstverständlich gegen die Zivilklausel verstoßen.
Ist die Zeitenwende speziell in der Frankfurter Sicherheitsforschung wirklich schon vollzogen? Der Politologe Herfried Münkler hat kürzlich in der F.A.Z. behauptet, die Frankfurter Politikwissenschaft spiele auf diesem Gebiet „sowohl im fachlichen als auch im öffentlichen Diskurs keine Rolle mehr“.
Deitelhoff: Diese Äußerung zeugt von blanker Ignoranz dessen, was wir in Frankfurt sowohl in der Lehre als auch in der Forschung tun. Wir haben Seminare zur Abschreckungspolitik, zum Ukrainekrieg, zu Verhandlungsprozessen angeboten. Wir beraten Regierungen und auch die Europäische Kommission. Ich selbst bin seit Jahren im Beirat Innere Führung des Bundesverteidigungsministeriums aktiv. Wenn der Kern von Herrn Münklers Kritik darin besteht, dass die Positionen aus Frankfurt „zu ausgewogen“ seien, dann frage ich mich: Was ist das für ein Wissenschaftsverständnis, das in Differenziertheit eine Schwäche der Politikwissenschaft sieht?
Die Fragen stellte Sascha Zoske.
Zu den Personen
Nicole Deitelhoff und Christopher Daase sind Vorstandsmitglieder des Peace Research Institute Frankfurt (PRIF), das zur Leibniz-Gemeinschaft gehört und früher als Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung firmierte. Es widmet sich sowohl der Grundlagenforschung als auch dem Wissenstransfer. Deitelhoff hat die Geschäftsführung inne, Daase ist ihr Stellvertreter. Beide lehren zudem als Professoren für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt. Daases Forschungsschwerpunkte sind Sicherheitspolitik und internationale Institutionen, Deitelhoff befasst sich unter anderem mit Weltordnungskrisen, Grundlagen politischer Herrschaft und Konflikten in Demokratien. Deitelhoff, 1974 geboren, und Daase, Jahrgang 1962, sind verheiratet.