11.12.2025

Jonathan White über Zukunftsdenken in Demokratien

Zum zweiten Termin der Ringvorlesung „Am Scheidepunkt? Zur Krise der Demokratie“ diskutierte der Politikwissenschaftler Jonathan White Sichtweisen auf die Zukunft innerhalb von Demokratien und die Notwendigkeit einer Zukunftsbezogenheit in Demokratien. White führte zu Beginn unterschiedliche öffentliche Diskurse an, in denen die Zukunft Einfluss auf gegenwärtige Politik nehme. Anders als manchmal beschrieben, sei die Zukunft seit dem Ende der Gegenüberstellung unterschiedlicher politischer und ökonomischer Systeme im 20. Jahrhundert nicht verloren gegangen. Aber es habe eine qualitative Veränderung stattgefunden, bei der die Zukunft – wenngleich noch immer sehr präsent – vielmehr als etwas verstanden werde, auf das reagiert wird, denn als etwas, das aktiv in der Gegenwart geformt werden kann.

Die Zukunft sei in Demokratien eine wichtige Quelle unterschiedlicher emanzipatorischer Strömungen: Sie ermögliche zum Beispiel in Form von Utopien eine kritische Perspektive auf die Gegenwart und könne als geteilte Vorstellung eines Zu-Erreichenden kollektive Identitäten formen. Allerdings mit Einschränkungen. So verweist White auch auf Gefahren des Verabsolutierens von Zukunftsvorstellungen: Wenn eine Version der Zukunft als finale, abschließende Losung verstanden werde, sei damit das Potenzial undemokratischer Mittel zur Erreichung der Zukunft eröffnet und naheliegend. Demokratische Zukunft müsse jedoch immer die Möglichkeit der Korrektur, beispielsweise der zukünftigen anderen Wahlentscheidung, enthalten.

Gegenwärtig sieht White vielmehr einen wachsenden Opportunismus als prominente Entwicklung. Opportunismus zeichne sich dabei für ihn durch das regelmäßige Adaptieren unterschiedlicher Positionen und eine damit eng verbundene Indifferenz gegenüber politischen Prinzipien aus. Dies sei als eine Art Ersatz an die Stelle von wirklicher zukunftsorientierter Politik gerückt.

Ein solcher Opportunismus sei besonders habe einer sich schnell verändernden Welt, die mit Katastrophen und katastrophisierendem Denken konfrontiert ist, leichtes Spiel. Es gebe deshalb kein Ende der Zukunft, aber es müsse den Ideen einer Zukunft, der man machtlos ausgeliefert ist, entgegengetreten werden. Weil die Demokratie Zukunft brauche.

Jonathan White ist stellvertretender Leiter des European Institute und seit 2008 Professor für Politik an der London School of Economics. Er war u. a. in Harvard, Stanford, am Wissenschaftskolleg zu Berlin und an der Sciences Po tätig. Zuletzt erschien von ihm „In the Long Run. The Future as a Political Idea

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

News
11.12.2025

Jonathan White über Zukunftsdenken in Demokratien

Zum zweiten Termin der Ringvorlesung "Am Scheidepunkt? Zur Krise der Demokratie". Der Politikwissenschaftler White diskutiert Sichtweisen auf die Zukunft in Demokratien. Ein Nachbericht

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News
04.12.2025

Die Krise der Demokratietheorie aus soziologischer Perspektive

Die Soziologin Jenny Brichzin hat mit ihrem Vortrag „Krise der Demokratietheorie? Eine soziologische Intervention“ unsere Ringvorlesung „Am Scheidepunkt? Zur Zukunft der Demokratietheorie“ eröffnet. Die Soziologin kritisiert, gesellschaftliches Zusammenleben werde in der Demokratietheorie bisher unzureichend thematisiert. Ein Nachbericht

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News
21.11.2025

Freiwillig oder verpflichtend? Wehrdienst, Frieden und demokratische Verantwortung

Nachbericht zu den 58. Römerberggesprächen. Das Thema Wehrpflicht und die Frage, was ein demokratischer Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgern verlangen darf, standen im Zentrum der 58. Römerberggespräche "Bedingt einsatzbereit? Wehrdienst und die Pflicht zum Dienst am Staat", die am 15. November in Kooperation mit dem Forschungszentrum Normative Ordnungen im Chagallsaal des Schauspiel Frankfurt stattfanden.

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Publikation
21.11.2025 | Sammelband

Handbook of Leadership. Applied Business Psychology for Managers

Felfe, Jörg; Dick, Rolf van (eds.) (2025): Handbook of Leadership. Applied Business Psychology for Managers. Springer.

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News
13.11.2025

Goethe Lecture Offenbach zu ableistischer Diskriminierung

Regina Schidel hat im Rahmen der Goethe Lectures Offenbach eine Kritik ableistischer Diskriminierung präsentiert. In ihrem Vortrag „Ich kann, also bin ich?“ diskutierte sie praktische Ausprägungen und philosophische Herkünfte von Ableismus.

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Veranstaltung
10.02.2026 | Frankfurt am Main

Satanic Politics. Democracy after Liberalism

Ringvorlesungen, Vortrag

Vortrag von Michael Rosen (Harvard University) im Rahmen der Ringvorlesung "Am Scheidepunkt? Zur Krise der Demokratie" im Wintersemester 2025/2026

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Veranstaltung
04.02.2026 | Frankfurt am Main

Demokratien verteidigen. Zur Aktualität des Gewaltbegriffs bei Camus und Derrida

Ringvorlesungen, Vortrag

Vortrag von Christine Abbt (Universität St. Gallen) im Rahmen der Ringvorlesung "Am Scheidepunkt? Zur Krise der Demokratie" im Wintersemester 2025/2026

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Veranstaltung
29.01.2026 | Frankfurt

Civil Geopolitics and the Dilemmas of the Democratic State

Ringvorlesungen, Vortrag

Vortrag von David Owen (Universtiy of Southampton) im Rahmen der Ringvorlesung "Am Scheidepunkt? Zur Krise der Demokratie" im Wintersemester 2025/2026

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Veranstaltung
14.01.2026 | Frankfurt am Main

Vom Retten der Welt zum Vorbereiten auf den Kollaps: Neuorientierungen in katastrophischen Zeiten

Ringvorlesungen, Vortrag

Vortrag von Christine Hentschel (Universität Hamburg) im Rahmen der Ringvorlesung "Am Scheidepunkt? Zur Krise der Demokratie" im Wintersemester 2025/2026

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