Biblische Rechtfertigungsnarrative in spätantiker Umwelt– die Rolle der kaiserlichen Frauen

Projektleiter: Prof. Dr. Hartmut Leppin

Zu den erstaunlichsten Phänomenen der spätantiken Geschichte gehört, wie rasch ein christliches Rechtfertigungsnarrativ dazu beitrug, die schon Jahrhunderte andauernde Herrschaft römischer Kaiser neu zu legitimieren. In diesem Projekt sollte untersucht werden, wie das an der Peripherie des Römischen Reiches entstandene, dann weiterentwickelte christliche Rechtfertigungsnarrativ von Herrschaft mit seinen universalen Ansprüchen auf die römische Herrschaftsordnung traf und sich erstaunlich schnell mit ihr verband, so dass in der politischen Sprache die Unterschiede dem Schein nach verschwanden.

Im Zentrum standen dabei jene Ansprüche, die an den Kaiser gestellt wurden, der in der spätantiken Gesellschaft sowohl an dem Rechtfertigungsnarrativ des paganen Kaisertums als auch an jenen des Alten Testaments als auch an dem Konzept des Heiligen Mannes gemessen werden konnte (Francis Dvornik, Peter Brown). Dies führte zu einer Änderung des kaiserlichen Verhaltens, aber auch des Machtgefüges, da nunmehr Vertreter des Christentums wie Mönche oder Bischöfe aufgrund ihrer spirituellen Autorität als kompetent galten (Claudia Rapp), das kaiserliche Verhalten zu beurteilen. Nicht hinreichend berücksichtig war bislang das Verhältnis dieser personal gebundenen Autoritäten zur Autorität von Texten, in denen Normen überliefert waren; so wurden in der Spätantike, z.B. bei Ambrosius und Johannes Chrysostomos, Normen oft aus dem Alten Testament gewonnen und zum Teil unmittelbar auf die eigene Zeit übertragen. Da die Entwicklungen im Osten und im Westen des Römischen Reiches unterschiedlich verliefen, ließ sich vergleichend die Entwicklung des christlichen Rechtfertigungsnarrativs unter verschiedenen sozialen Verhältnissen beobachten. Dabei wurde insbesondere die Rolle der kaiserlichen Frauen gewürdigt, in einem engen Austausch mit einem parallelen Projekt im Internationalen Graduiertenkolleg „Politische Kommunikation von der Antike bis zur Gegenwart“.

Das Leitthema des Projektes wurde unter sehr unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Der Projektleiter Hartmut Leppin befasste sich vor allem mit der Frage, inwieweit das spätantike christliche Kaisertum, das er als eine überraschende Erscheinung, als ein Paradox der Europäischen Geschichte bewertete, biblische Rechtfertigungsnarrative aufgriff. Dabei wurde deutlich, dass sowohl christozentrische als auch alttestamentliche, gewissermaßen davidische Interpretationen aus der Bibel abgeleitet wurden, dass daneben aber eine Tendenz bestand, ein hierokratisches Kaisertum zu entwickeln. So zeigten sich mit der beträchtlichen Wirkung der biblischen Rechtfertigungsnarrative auch ihre Grenzen.

Beide in dem Projekt begonnenen Promotionen wurden zu einem erfolgreichen Abschluss geführt:
Jan-Markus Kötter beschäftigte sich mit dem sog. „Akakianischen Schisma“, der ersten grundsätzlichen Kirchenspaltung zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel in den Jahren 484 bis 519. Hier ging es ihm darum, zu untersuchen, wie die verschiedenen Akteure Argumente biblisch-apostolischer Provenienz zur Durchsetzung ihrer dogmatischen und hierarchischen Ansprüche (mithin: ihrer Idee von einer adäquaten kirchlichen Ordnung) nutzten. Durch die dichte Analyse der Konflikte und ihre breite Einbettung in historische Kontexte konnte ein neuer Blick sowohl auf die Herausbildung der spätantik-kirchlichen Ordnung als auch auf die ständigen Konflikte um die Weiterentwicklung dieser Ordnung gewonnen werden.
Michaela Dirschlmayer untersuchte die machtpolitische Stellung der kaiserlichen Frauen im spätantiken christlichen Kaisertum vom 4. bis zum 6. Jahrhundert. Nach kritischer Analyse antiker Texte konnte sie feststellen, dass der Einfluss kaiserlicher Frauen in dieser Zeit vor allem in religionspolitischen Belangen deutlich zu fassen ist. In engem Zusammenhang damit stehen Kirchenstiftungen kaiserlicher Frauen, denn diese können als sichtbarer Ausdruck ihres Einflusses und im Sinne einer Kommunikation zwischen dem kaiserlichen Hof und den Akzeptanzgruppen, die diesen stützten, interpretiert werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung liefern einen bedeutenden Beitrag, den Handlungsspielraum einer kaiserlichen Frau, der rechtlich nicht zu definieren ist, besser fassen zu können. Zudem legen sie nahe, bisherige Thesen der Forschung zu spätantiken/frühbyzantinischen Kaiserinnen neu zu bedenken.

Zu den wichtigsten Publikationen im Forschungsprojekt zählen: Hartmut Leppin (2011): Justinian – Das christliche Experiment, Stuttgart: Klett-Cotta; Hartmut Leppin (2010): Das Erbe der Antike (C.H. Beck Geschichte Europas), München: Beck; und Jan-Markus Kötter (2013): Zwischen Kaisern und Aposteln. Das Akianische Schisma (484-519) als kirchlicher Ordnungskonflikt in der Spätantike, Stuttgart: Steiner; Michaela Dirschlmayer (2015): Kirchenstiftungen römischer Kaiserinnen vom 4. bis zum 6. Jahrhundert – die Erschließung neuer Handlungsspielräume, (JbAC Ergänzungsband Kleine Reihe 13) Münster: Aschendorff. 

Die wichtigsten Veranstaltungen im Projekt waren ein internationaler Workshop zur „Ausbreitung von Religionen und Neutralisierung von gesellschaftlichen Räumen“ (25.-27.6.2010), ein Vortrag und Seminar von Hans Beck zum Thema „Zwischenstaatliche Beziehungen im klassischen Griechenland. Soziozentrismus und die Grenze normativer Ordnung“ (21.-2.6.2010) sowie „Normative Aspekte in Form und Funktion der griechischen Hagiographie in der Spätantike“, Vortrag und Seminar mit Prof. Claudia Rapp (UCLA, 27.3.-8.4.2009).

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