21.09.2025
Portrait

Juliane Rebentisch – Die Kritikerin

Der schöne Gedanke, dass ein Zeitgenosse, wie jeder gute Genosse oder jede gute Genossin, der eigenen Zeit helfen sollte, wenn es schwierig wird, ist Juliane Rebentisch nicht fremd. Zum Beispiel wenn die eigene Zeit als „unproduktiv, als in klebriger Immanenz befangen, als indifferent und bedeutungslos wahrgenommen wird“ (Rebentisch), ist es an der Zeit, ihr auf die Beine zu helfen. Um aber die Zeit überhaupt erst lesbar zu machen, muss man in die chronologische Zeit Diskontinuitäten und Zäsuren einfügen, die diese Zeit schon immer als gespaltene Zeit erscheinen lassen.

Juliane Rebentisch, die an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Philosophie lehrt, hat diesen notwendigen Spaltungsprozess in der Chronologie der Zeit exemplarisch in ihrer Auseinandersetzung mit Hannah Arendt durchquert. Mit Hannah Arendt gegen Hannah Arendt hätte man über ihr Buch „Der Streit um Pluralität“ auch schreiben können, ohne ihm wehzutun. Die kettenrauchende Aktivistin des Lebens, „Vita activa“ heißt eines der Hauptwerke Arendts, und Totalitarismustheoretikerin hat in und außerhalb ihres Werkes genug Anstößigkeiten hinterlassen, um sie an mehreren Prangern gleichzeitig ausstellen zu können. Da sind ihre rassistischen Anmerkungen gegen amerikanische schwarze Menschen in politischen Kämpfen ebenso wie ihr frivoles Zitieren von Carl Schmitt, dem Kronjuristen der Nazis, in ihrem Totalitarismusbuch. Natürlich hatte Arendt als Professorin in New York unter lauter Männern auch zwangsläufig autoritäre Züge im Umgang entwickelt. Die Kunst Rebentischs besteht darin, all diese Merkwürdigkeiten nicht als zeitspezifisch abzutun, sondern akribisch und seriös als Bestandteil der Philosophie Arendts herauszuarbeiten und ihre eigene Ratlosigkeit gegenüber den Gründen dieser Entgleisungen nicht zu verbergen. Verdammen mag sie Arendt nicht, weil ihre Philosophie gleichzeitig ein hochpolitisches Konzept der Pluralität hervorbringt, das der empirischen Ungleichheit der Menschen, denn sonst wären sie ja keine Individuen, Rechnung trägt, ohne es in Widerspruch zum Axiom und Gedanken der Gleichheit geraten zu lassen.

Cord Riechelmann

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

Veranstaltung
19.11.2025 | Frankfurt am Main

Unerwünscht. Die westdeutsche Demokratie und die Verfolgten des NS-Regimes

Buchvorstellung

Der Vortrag von Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum schildert die Erfahrungen von überlebenden Juden und Sinti und Roma, von ehemaligen Zwangsarbeitern und Homosexuellen in Westdeutschland in der Nachkriegszeit.

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News
04.09.2025

Rainer Forst mit Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet

Am 4. September 2025 wurde der politische Philosoph und Direktor des Forschungszentrums Normative Ordnungen Prof. Dr. Rainer Forst mit der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet. Mit dieser Ehrung würdigt die Stadt Persönlichkeiten, die durch ihr wissenschaftliches Werk und/oder ihr öffentliches Wirken weit über die Grenzen Frankfurts hinaus Maßstäbe gesetzt haben.

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Veranstaltung
15.10.2025 | Frankfurt am Main

Aufrecht. Überleben im Zeitalter der Extreme

Buchvorstellung

ACHTUNG RAUMÄNDERUNG! In ihrem jüngsten Werk begibt sich Lea Ypi auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familie und verknüpft persönliche Erinnerungen mit den großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Das Forschungszentrum Normative Ordnungen lädt gemeinsam mit dem Netzwerk FrauenmitFormat, dem Honorarkonsulat der Republik Albanien in Frankfurt am Main und dem Suhrkamp Verlag herzlich zur Vorstellung des neuen Buches von Prof. Dr. Lea Ypi mit anschließender Diskussionsrunde mit Prof. Dr. Lea Ypi, Honorarkonsulin Dr. Jonela Hoxhaj und Prof. Dr. Rainer Forst unter der Moderation von Rebecca C. Schmidt ein.

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Publikation
02.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration

Schmid, Lukas; Ruhs, Martin; Bauböck, Rainer; Mourão Permoser, Julia (2025): “Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration”. In: Ethics & International Affairs, 39 (1), S. 26-36.

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Publikation
01.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Roundtable: Ethical Dilemmas and Migration Policymaking

Schmid, Lukas; Ruhs, Martin; Bauböck Rainer, Mourão Permoser, Julia (Hrsg.) (2025): "Roundtable: Ethical Dilemmas and Migration Policymaking". In: Ethics & International Affairs, 39 (1)

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News
21.08.2025

Pavan Malreddy erhält Heisenberg-Förderung

Der Wissenschaftler erhält die Förderung aus dem Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ein Forschungsprojekt zu Ethik und Ästhetik von zeitgenössischen literarischen Migrantenkulturen.

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Publikation
21.08.2025 | Sammelband

Autoritäre Treiber eines Systemwechsels. Zur Destabilisierung von Institutionen durch die AfD

Frankenberg, Günter; Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) (2025): Autoritäre Treiber eines Systemwechsels. Zur Destabilisierung von Institutionen durch die AfD. Campus Verlag.

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News
31.07.2025

Zukunft gestalten – Ein Rückblick

Im Rahmen der Ausstellung „Fixing Futures. Planetare Zukünfte zwischen Spekulation und Kontrolle“ fand unsere vierteilige Vortragsreihe „Zukunft gestalten – Zwischen Klimawandel, Technologie und gesellschaftlicher Verantwortung“ statt.

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News
30.07.2025

Was bleibt von "1968"? – Veranstaltungsrückblick

Was können wir aus der 68er-Bewegung für unsere eigene Zeit lernen und wo braucht es vielleicht neue Ideen und Utopien? Diesen Fragen widmete sich die Veranstaltung "Utopie und Aufbruch der 1968er – Was von politischer Rebellion und individueller Selbstbefreiung geblieben ist" am 14. Juli 2025 im Historischen Museum

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