Dan Diner: Was heißt „kolonial“? Zur Bedeutung einer historischen Qualifizierung
Gespräch von Dan Diner (Professor Emeritus für Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem) mit Miloš Vec (Professor für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien) im Rahmen der Vortragsreihe „Frankfurter Schule“.
Das Wort vom „Kolonialen“ findet heute eine derart vielfältige Verwendung, dass von einer regelrechten semantischen Inflationierung gesprochen werden kann. Ursprünglich für ‚überseeische‘ Verhältnisse der Über- und Unterordnung gebraucht, dehnt es sich auf eine Unzahl von Herrschaftsverhältnissen aus – nach Innen wie nach Außen. Damit verliert das Attribut „kolonial“ seine ursprüngliche analytische Bedeutung und verkommt zu einem allseits einsetzbaren Schlagwort. Verdrängt wird das epistemische Arsenal des „Sozialen“ und „Nationalen“, das, aus dem 19. Jahrhundert stammend, zur Deutung hierarchisch strukturierter Lebenswelten wesentlich Verwendung fand. Dabei geht der Kernbestand realer kolonialer Konstellationen, wie sie mit den „Entdeckungen“ der europäischen Expansion in der Frühen Neuzeit und mit den von Europa ausgehenden Eroberungen im Zeitalter des Kolonialismus im 19. Jahrhundert in Verbindung stehen, verloren. Die Veranstaltung will sich in aufklärerischer Absicht diesem überaus aktuellen Thema widmen.
Dabei geht es um Geschichte, Begriff und politischer Verwendung von mit dem „Kolonialen“ in Verbindung gebrachten Phänomenen. Vergangenheit und Gegenwart treten so ein in einen Dialog der Erkenntnis. Zur Reihe „Frankfurter Schule“ Gesellschaftliche Normen, in Institutionen und Ordnungen manifestiert, bilden das Fundament unseres sozialen und politischen Zusammenlebens. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich die sogenannte Frankfurter Schule vorgenommen, diese Normen und ihre Widersprüche im Sinne einer umfassenden „Kritischen Theorie“ ganzheitlich und (ideologie-)kritisch in den Blick zu nehmen – eine Herangehensweise, deren Bedeutung und internationale Wirkmacht bis heute ungebrochen sind. Doch was sagt die Frankfurter Schule, die Gesellschaftsanalysen stets mit Ideologiekritik verbunden hat, zur derzeitigen Lage der Gesellschaft? Welche Antworten gibt die sogenannte „dritte und vierte Generation“ auf weltweite Krisen und Konflikte? Die Reihe „Frankfurter Schule“ wird quartalsweise in unterschiedlichen Kultureinrichtungen in Frankfurt fortgesetzt. Zu Gast sind Persönlichkeiten, die – geschult am „Frankfurter Denken“ – zu aktuellen Problemlagen Position beziehen.
Aktuelles aus dem Forschungszentrum
Kolja Möller - Volk und Elite
Workshop zum "Buch Volk und Elite - Eine Gesellschaftstheorie des Populismus" von Kolja Möller
weitere Infos ›Strafrecht und Kriminalpolitik in den Polykrisen der digitalen Welt
Unter der Überschrift „Strafrecht und Kriminalpolitik in den Polykrisen der digitalen Welt“ sollen auf dem XII. Deutsch-Griechischen Strafrechtssymposion die heterogenen Herausforderungen diskutiert werden, mit denen sich das Strafrechtssystem in Zeiten sich häufender und interdependenter Krisen (Klima, Migration) konfrontiert sieht.
weitere Infos ›Moralisieren
Schmelzle, Cord (2025): „Moralisieren“. In: Pollmann, Anna; Möllmann, Christopher: Schlüsselbegriffe gesellschaftlichen Zusammenhalts. Ein kritisches Vokabular, Wallstein, S. 544–561.
weitere Infos ›Dis.Ordering Distribution. Infrastructures, Formats and Practices in the Circulation of Culture.
Storz, Cornelia; Hediger, Vinzenz; Krings, Matthias (eds.) (2025): Dis.Ordering Distribution. Infrastructures, Formats and Practices in the Circulation of Culture. Emerald Publishing.
weitere Infos ›Ich kann, also bin ich? Eine Kritik ableistischer Diskriminierung in unserer Gesellschaft
Der Vortrag von Dr. Regina Schidel im Rahmen der Goethe Lectures Offenbach analysiert Ableismus aus philosophischer und sozialtheoretischer Perspektive, und zwar exemplarisch am Fall von Menschen mit kognitiven Einschränkungen/geistiger »Behinderung«. Es werden Ursprünge ableistischen Denkens in der philosophischen Tradition entwickelt, in ihrer gesellschaftlichen Funktionalität untersucht und Möglichkeiten befragt, diese zu überwinden – diese stammen etwa aus kritischer und feministischer Theoriebildung.
weitere Infos ›Neuer Forschungsverbund „DemoReg“ nimmt Arbeit auf
Hessen investiert rund 3,1 Millionen Euro in den Ausbau der Demokratieforschung. Mit dem neuen Forschungsverbund „DemoReg“ entwickelt Hessen ein starkes, deutschlandweit besonderes Profil in der Demokratieforschung mit nationaler und internationaler Sichtbarkeit. Das Forschungszentrum Normative Ordnungen ist personell beteiligt.
weitere Infos ›„Zeitenwenden. Normative Ordnungen im Umbruch?“
Das Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität Frankfurt am Main erhält für sein neues Forschungsprogramm „Zeitenwenden. Normative Ordnungen im Umbruch?“ eine großzügige Förderung durch den Stiftungsfonds Commerzbank im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Insgesamt stehen über eine Laufzeit von fünf Jahren Fördermittel in Höhe von 750.000 Euro zur Verfügung.
weitere Infos ›Climate Finance, the Right to Promote Sustainable Development and Responsibility
Moellendorf, Darrel (2025): „Climate Finance, the Right to Promote Sustainable Development and Responsibility“. In: Berger, Axel; Brandi, Clara; Kollar, Eszter (eds.): Justice in Global Economic Governance. Normative and Empirical Perspectives on Promoting Fairer Globalisation, Edinburgh University Press, p. 125–133.
weitere Infos ›Im Visier der Autokraten: Vom Wert der Wissenschaftsfreiheit
Forst, Rainer; Tockner, Klement: Im Visier der Autokraten: Vom Wert der Wissenschaftsfreiheit. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 10/2025, S. 109-117.
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