Strafen, Sanktionen und andere Durchsetzungsinstrumente normativer Ordnungen

Projektleiter: Prof. Dr. Klaus Günther und Prof. Dr. Cornelius Prittwitz

Das Völkerstrafrecht spielt eine herausragende Rolle bei der Herausbildung internationaler Rechtsnormen, vor allem der Menschenrechte, und ihrer Sanktionierung. Umstritten ist die Frage seiner Legitimation oder auch die Frage seines Strafzwecks. So sehr die Legitimatät des Völkerstrafrechts aus den ersten Blick evident zu sein scheint, so kontrovers sind jedoch die Rechtfertigungen für die Sanktionen, vor allem der Übelszufügung in Form der Strafe. Hier versucht das Projekt, eine Antwort zu finden. Hierzu hat das Teilprojekt von Günther und Reuss einen neuen Vorschlag gemacht. Das Teilprojekt von Prittwitz und Alatovic hat die Kontroverse um die Strafzwecke des Völkerstrafrechts zum Anlass genommen, die Fragwürdigkeit eines normativistischen Zugriffs auf das Strafen und seine Rechtfertigungen kritisch zu diskutieren.

Die herkömmlichen Strafzwecke des nationalen Rechts, namentlich: Vergeltung (Schuldausgleich), Sicherung, Resozialisierung, individuelle und kollektive Abschreckung oder Stärkung des Normbewusstseins, zur Legitimation von Strafverfahren, -verhängung und -vollstreckung lassen sich nicht bruchlos auf das Völkerstrafrecht übertragen. Dies wird von Teilen des Schrifttums auch bereits ähnlich gesehen, nicht jedoch von den Gerichten. In einem ersten Schritt wurden daher in dem Projekt die spezifischen normativen, rechtstheoretischen und empirisch-kriminologischen Hintergründe des Völkerstrafrechts untersucht, die sich von den entsprechenden Hintergründen des nationalen Strafrechts stellenweise fundamental unterscheiden. Angesicht dieses Diskussionsstandes ließen sich im Anschluss zwei verschiedene Wege einschlagen. Der erste (a) besteht in einer Weiterentwicklung der Straftheorien mit spezifischen Modifikationen für das Völkerstrafrecht, die letztlich auf Argumenten der Gerechtigkeit basieren. Der zweite Weg (b) führt dazu, die Möglichkeit einer allgemeingültigen Legitimation des Völkerstrafrechts überhaupt zu bestreiten und seine Legitimation stärker als eine partikulare und kontextabhängige zu begreifen. Ohne den Weg einer universellen Rechtfertigung über normative Gründe beschreiten zu können, beruht das Völkerstrafrecht auf einem breiten faktischen Konsens (u.a. auch in der Rechtspraxis), seine Legitimität besteht darin, dass die Adressaten die Rechtsnormen als Handlungsgründe anerkennen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die faktische Legitimität niemals absolut, sondern immer nur begrenzt ist, also nicht von allen Adressaten getragen wird. Dies läuft nicht wie unter (a) auf eine normative, sondern auf eine realistisch-pragmatische Theorie des Völkerstrafrechts hinaus.

(a) Teilprojekt Günther/Reuss: Ein Vergleich der Erwartungen an das Völkerstrafrecht und der klassischen Zwecke ergibt, dass keiner der Zwecke in seiner herkömmlichen Form mehr vollständig überzeugen kann und insbesondere den absoluten Straftheorien eine Absage erteilt werden muss. Stattdessen lässt sich das Völkerstrafrecht gemessen an seinem eigenen Anspruch, die Menschenrechte vor schwersten und massiven Verletzungen zu schützen, nur noch als ein präventives Schuldstrafrecht legitimieren, das dabei aber auch gleichzeitig die Menschenrechte des Angeklagten und des verurteilten Straftäters in seinen Schutzbereich einbeziehen muss. Sein Ziel kann daher überhaupt nur noch die Stärkung eines globalen, zivilgesellschaftlichen Bewusstseins von der Geltung und Achtung der Menschenrechte sein. Der herkömmliche Zweck der positiven Generalprävention, also der Zweck der Stärkung von Normgeltungsvertrauen, muss daher entsprechend modifiziert werden. Gestärkt werden muss durch das Völkerstrafrecht nicht das Geltungsvertrauen in eine beliebige staatliche Ordnung, so die herkömmliche Sicht, sondern das Bewusstsein von der im Zweifel auch überstaatlichen globalen Geltung der Menschenrechte. Diese sind im Konfliktfall gegen menschenrechtsfeindliche staatliche Ordnungen zu verteidigen, oder dürfen zumindest nicht in Befolgung staatlicher Normenbefehle verletzt werden. Der Imperativ des Völkerstrafrechts fordert also gerade dazu auf, den Geltungs- und Befolgungsanspruch staatlicher Ordnungen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu widerstehen, statt sich ihnen anzupassen. Das so zu erzeugende oder zu befestigende Bewusstsein dient daher zum einen der Prävention vor der Errichtung autoritärer menschenrechtsfeindlicher Regimes, soll aber zum anderen auch gegenüber schon oder noch bestehenden Regimes deren normative Wirkungsmacht eingrenzen. Denn es errichtet mit seinem Verfahren und seinen Schuldsprüchen einen Appell an alle Weltbürger/innen, den von diesen Regimes ausgehenden menschenrechtsfeindlichen Imperativen zu widerstehen. Dadurch und durch die Verfolgung auch der Spitzen solcher Regimes delegitimiert und dekonstruiert es zugleich deren Autorität als legitime Rechtsquelle, d.h., als legitime Instanzen der Normsetzung.

(b) Teilprojekt Prittwitz/Alatovic: Blickt man auf das Völkerstrafrecht als faktisch akzeptiertes Recht, statt nach einer normativ begründeten Legitimation zu suchen, so zeigt sich, dass diese Akzeptanz nicht allgemein gegeben ist – und hier u.a. mit dem Prinzip der Staatensouveränität kollidiert (so sind z.B. einige Staaten dem Rom-Statut zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes nicht beigetreten). Aus dieser Perspektive besteht die Funktion des Völkerstrafrechts – wie des Rechts generell – darin, allgemeine Verhaltensnormen gegen den Willen derjenigen durchzusetzen, die es nicht akzeptieren – also insofern zum Teil ohne Legitimation –, notfalls mit Zwangsmitteln. In der Spannung zwischen den beiden Teilprojekten (a) und (b) wiederholt sich der rechtstheoretische Gegensatz zwischen Naturrecht und Naturrechtskritik, sowie auf der Ebene der politischen Theorie der Gegensatz zwischen Institutionalisten und Realisten. Eine entsprechende pragmatisch-realistische Theorie des Rechts wurde in der Dissertation von Samir Alatovic entfaltet. Das darin entwickelte Hauptargument lautet, dass sich der Widerspruch zwischen individuellen Rechten und der Allgemeingültigkeit des Rechts auf normativer Ebene nicht auflösen lässt. Das Recht ist nicht nur, aber auch ein gewalttätiger Akt gegen diejenigen, die sich nicht an menschengemachte Regeln halten wollen, und die diese Regeln auch nicht als gerechtfertigte anerkennen müssen. Aus normativer Perspektive steht das Völkerstrafrecht auf festem normativen Grund und verstrickt sich nur in der Praxis in Aporien – aus einer pragmatischen Perspektive sind diese Aporien nur scheinbare und selbst das Völkerstrafrecht, das Straftaten verfolgt, die alle Menschen eigentlich auch verdammen müssten, kann den Widerspruch zwischen normativem Anspruch und legitimierender Akzeptanz nicht ganz überwinden. Die Lehre für das Völkerstrafrecht sollte sein, diesen Widerspruch anzunehmen und um Akzeptanz zu werben. In praktischer Hinsicht gelangt diese Position somit zu einer ähnlichen Einschätzung wie Teilprojekt (a): Das Völkerstrafrecht sollte die faktische Akzeptanz der Menschenrechte auf internationaler Ebene weiter fördern und sich in seiner Wirkung stärker auf den erzieherischen Charakter berufen, statt auf den sanktionierenden. 

Eine Auswahl der wichtigsten aus dem Projekt hervorgegangenen Publikationen umfasst: 
Günther, Klaus / Reuss, Vasco (2014): „Die Legitimation des Völkerstrafrechts in Deutschland. Völkerstrafrecht als Bürgerstrafrecht“, in: Christoph Safferling/ Stefan Kirsch (Hg.), Völkerstrafrechtspolitik. Praxis des Völerstrafrechts, Berlin/Heidelberg: Springer, 127-164. 
Prittwitz, Cornelius (2012): „Die Rolle des Strafrechts im Menschenrechtsregime“, in: Arno Pilgram u.a. (Hg.), Einheitliches Recht für die Vielfalt der Kulturen, Münster: LIT Verlag, 23-39. 
Reuss, Vasco (2012): Zivilcourage als Strafzweck des Völkerstrafrechts. Was bedeutet positive Generalprävention der globalen Zivilgesellschaft? (Reihe: Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen – Kleine Schriften, Bd. 28), Münster: LIT Verlag.

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