27.03.2023
Zeitschriftenartikel

Der lange Schatten des Kolonialismus. Ein Literaturessay über „Colonialism and Modern Social Theory“

Ist heute vom ›Postkolonialismus‹ die Rede, so sind damit viele verschiedene Denkmotive zugleich gemeint. Die deutlichsten Konturen besitzt der Begriff, wenn er auf die erste Generation von politischen Intellektuellen angewendet wird, die nach der Befreiung ihrer Heimatländer vom Kolonialismus die Folgen zu untersuchen begannen, die die Kolonialherrschaft in ihrem eigenen Bewusstsein und dem ihrer Landsleute hinterlassen hatte. Hier, bei Denkern wie Frantz Fanon, Aimé Césaire oder Léopold Sédar Senghor, kam dem ›Post‹ im Begriff des Postkolonialismus noch ganz buchstäblich die zeitliche Bedeutung eines ›Nachher‹ zu, aus dessen unmittelbarer Erfahrung heraus die Wunden freigelegt werden sollten, die der vormalige Kolonialismus seinen Opfern zugefügt hatte. Diese Bedeutung einer direkten Vergangenheitsbewältigung verliert der Begriff aber, wenn er heute verwendet wird, um damit eine neue Generation von postkolonialen Denker:innen zu bezeichnen. Deren Absicht ist es nicht länger, die Schrecken des gerade überwunden geglaubten Kolonialismus aufzuarbeiten, sondern zu Bewusstsein zu bringen, dass er auch in einem sich postkolonial gebenden Zeitalter von beklemmender Gegenwärtigkeit ist. Es ist daher nicht mehr die Vergangenheit, die im heutigen Postkolonialismus auf dem Spiel steht, sondern unsere Gegenwart selber; der zeitliche Bezug hat sich über die Jahrzehnte hinweg geändert, aus dem Präteritum ist inzwischen das Präsens des Kolonialismus geworden. Mit diesem Wandel des zeitlichen Bezugs hat sich aber auch der Adressat des Postkolonialismus entsprechend geändert; es sind nicht mehr primär die Opfer des Kolonialismus, an die der Appell zum Bewusstseins- und Einstellungswandel ergeht, sondern diejenigen, die weiterhin von ihm profitieren, also die Mitglieder der westlichen Staaten.

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

Veranstaltung
03.11.2025 | Offenbach

Ich kann, also bin ich? Eine Kritik ableistischer Diskriminierung in unserer Gesellschaft

Vortrag

Der Vortrag von Dr. Regina Schidel im Rahmen der Goethe Lectures Offenbach analysiert Ableismus aus philosophischer und sozialtheoretischer Perspektive, und zwar exemplarisch am Fall von Menschen mit kognitiven Einschränkungen/geistiger »Behinderung«. Es werden Ursprünge ableistischen Denkens in der philosophischen Tradition entwickelt, in ihrer gesellschaftlichen Funktionalität untersucht und Möglichkeiten befragt, diese zu überwinden – diese stammen etwa aus kritischer und feministischer Theoriebildung.

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News
01.10.2025

Neuer Forschungsverbund „DemoReg“ nimmt Arbeit auf

Hessen investiert rund 3,1 Millionen Euro in den Ausbau der Demokratieforschung. Mit dem neuen Forschungsverbund „DemoReg“ entwickelt Hessen ein starkes, deutschlandweit besonderes Profil in der Demokratieforschung mit nationaler und internationaler Sichtbarkeit. Das Forschungszentrum Normative Ordnungen ist personell beteiligt.

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News
30.09.2025

„Zeitenwenden. Normative Ordnungen im Umbruch?“

Das Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität Frankfurt am Main erhält für sein neues Forschungsprogramm „Zeitenwenden. Normative Ordnungen im Umbruch?“ eine großzügige Förderung durch den Stiftungsfonds Commerzbank im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Insgesamt stehen über eine Laufzeit von fünf Jahren Fördermittel in Höhe von 750.000 Euro zur Verfügung.

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Publikation
29.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Im Visier der Autokraten: Vom Wert der Wissenschaftsfreiheit

Forst, Rainer; Tockner, Klement: Im Visier der Autokraten: Vom Wert der Wissenschaftsfreiheit. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 10/2025, S. 109-117

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Veranstaltung
19.11.2025 | Frankfurt am Main

Unerwünscht. Die westdeutsche Demokratie und die Verfolgten des NS-Regimes

Buchvorstellung

Der Vortrag von Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum schildert die Erfahrungen von überlebenden Juden und Sinti und Roma, von ehemaligen Zwangsarbeitern und Homosexuellen in Westdeutschland in der Nachkriegszeit.

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Veranstaltung
31.10.2025 | Frankfurt am Main

Geschlecht und Affekte in Zeiten rechtsautoritärer anti-demokratischer Mobilisierung

Vortrag

Keynote von Prof. Dr. Birgit Sauer auf der Auftaktkonferenz des Forschungsverbunds „Herausforderungen der Demokratie in Zeiten ihrer Regression: Zeiten, Räume und Diskurse“ (DemoReg)

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News
04.09.2025

Rainer Forst mit Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet

Am 4. September 2025 wurde der politische Philosoph und Direktor des Forschungszentrums Normative Ordnungen Prof. Dr. Rainer Forst mit der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet. Mit dieser Ehrung würdigt die Stadt Persönlichkeiten, die durch ihr wissenschaftliches Werk und/oder ihr öffentliches Wirken weit über die Grenzen Frankfurts hinaus Maßstäbe gesetzt haben.

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Veranstaltung
15.10.2025 | Frankfurt am Main

Aufrecht. Überleben im Zeitalter der Extreme

Buchvorstellung

AUSGEBUCHT! In ihrem jüngsten Werk begibt sich Lea Ypi auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familie und verknüpft persönliche Erinnerungen mit den großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Das Forschungszentrum Normative Ordnungen lädt gemeinsam mit dem Netzwerk FrauenmitFormat, dem Honorarkonsulat der Republik Albanien in Frankfurt am Main und dem Suhrkamp Verlag herzlich zur Vorstellung des neuen Buches von Prof. Dr. Lea Ypi mit anschließender Diskussionsrunde mit Prof. Dr. Lea Ypi, Honorarkonsulin Dr. Jonela Hoxhaj und Prof. Dr. Rainer Forst unter der Moderation von Rebecca C. Schmidt ein.

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Publikation
02.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration

Schmid, Lukas; Ruhs, Martin; Bauböck, Rainer; Mourão Permoser, Julia (2025): “Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration”. In: Ethics & International Affairs, 39 (1), S. 26-36.

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