Papsttum und Türkenfurcht. Die Osmanische Expansion als Mobilisierungs- und Dynamisierungsfaktor im frühneuzeitlichen Europa

Dr. Kerstin Weiand

Die Auseinandersetzung europäischer Mächte mit dem Osmanischen Reich ist zweifellos ein Schlüsselkonflikt der Epoche, der in der Wahrnehmung der Zeitgenossen eine besondere Stellung einnahm. Begründet liegt dies in der Dauer und Vehemenz dieses Konfliktes, der sich mit unterschiedlichen Konjunkturen vom 15. bis ins 19. Jahrhundert hinzog. Vor allem aber steht es im Zusammenhang mit seiner Deutung als existentieller Überlebenskampf des christlichen Europas gegen einen islamischen Orient. In der aktuellen Forschung haben Untersuchungen zum Osmanischen Reich Konjunktur. Trotz dieser Aufmerksamkeit hat die Frage, welche Auswirkungen diese Dauerkrise auf das Selbstbild und den Wertehaushalt der politischen Akteure und auf die sich daraus ergebenden Handlungsimperative hatte, bislang wenig Beachtung gefunden. Wie veränderten sich Normgefüge unter dem Eindruck einer als existentiell empfundenen Bedrohung? 

Diese Frage steht im Mittelpunkt des Projektes, das seinen Blick auf das römische Papsttum richtet. Hier wurde der Schutz der Christenheit gegen die Osmanen phasenweise geradezu zu einer Leitnorm erhoben. Sie erlangte im 15. Jahrhundert im Kontext der osmanischen Expansion und der Eroberung Konstantinopels eine neue Qualität und wurde schließlich im 16. Jahrhundert fester Bestandteil der Repräsentation des Papsttums. Damit wurde dieses Leitbild eingebunden in ein Geflecht heterogener normativer Bezugssysteme, die die päpstliche Politik prägten. Diese normativen Bezugssysteme unterschieden sich voneinander, was Weltbezug und politischen Denkrahmen betraf. Ihnen lagen unterschiedliche Geltungsnarrative zugrunde und sie wiesen unterschiedliche sprachliche Codes auf, in denen sich ihr normativer Anspruch verdichtete. 

Aus diesen Überlegungen leiten sich die Grundfragen des Projekts ab, das im Forschungsfeld 2 „Die Dynamik normativer Ordnungen: Umbruch, Wandel, Kontinuität“ verortet ist: Wie gestaltete sich der Zusammenhang von verschiedenen normativen Ansprüchen, Selbstdeutungen und Handlungsimperativen im Kontext der osmanischen Expansion? Wie veränderten sich normative Ordnungen unter dem Primat der Osmanenabwehr? Das Projekt nimmt in Langzeitperspektive von 1458 bis 1700 schlaglichtartig Verschiebungen und wechselseitige Beeinflussungen der unterschiedlichen normativen Bezugssysteme sowie die daraus resultierenden politischen Handlungslogiken in den Blick. Die Länge des Untersuchungszeitraums erlaubt es dabei, Kontinuitäten und Brüche sowie unterschiedliche Konjunkturen aufzuzeigen.

Die bisherigen Untersuchungen zur päpstlichen Diplomatie sowie zu den materiellen und immateriellen Repräsentationen des Papsttums belegen die produktive und die kreative Wirkung dieses normativen Anspruchs. Produktiv insofern er handlungsgenerierende Wirkung entfaltete, kreativ insofern ganz neue Denkrahmen entworfen wurden, mit denen auch eine Transformation bestehender politischer Normen einherging. Die osmanische Expansion ist dabei nicht als externer Entwicklungsfaktor zu betrachten, sondern vielmehr als Impuls, an dem sich interne Umdeutungsprozesse orientierten. Der Konflikt mit dem Osmanischen Reich bewirkte offensichtlich eine Dynamisierung des politischen Handlungspielraums wie auch des Normenhorizonts.

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

News
30.06.2025

Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich im EJPT erschienen

Der Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich ist soeben Open Access im European Journal of Political Theory (EJPT) erschienen. Ulrich bringt darin die Perspektive des radikalen Realismus mit der kritischen Theorie Adornos in einen produktiven Dialog.

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News
30.06.2025

Prof. Dr. Franziska Fay mit dem Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 ausgezeichnet

Prof. Dr. Franziska Fay (Juniorprofessorin für Ethnologie mit dem Schwerpunkt Politische Anthropologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und ehemalige Postdoktorandin des Forschungszentrums Normative Ordnungen der Goethe-Universität) erhält den Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 in der Kategorie Geistes- und Sozialwissenschaften.

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Publikation
25.06.2025 | Onlineartikel

Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?

Ulrich, Amadeus (2025): Ideology and suffering: What is realistic about critical theory? European Journal of Political Theory, 0(0).  https://doi.org/10.1177/14748851251351782

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News
24.06.2025

Neue Reihe „Vertrauensfragen“ in der Frankfurter Rundschau initiiert von Hendrik Simon

Demokratie lebt vom Streit – wenn er der gemeinsamen Suche nach Lösungen dient. An diesem Miteinander hakt es oft. Die neue FR-Reihe „Vertrauensfragen“ untersucht, initiiert von Hendrik Simon (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) Standort Frankfurt am Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität), woran das liegt und wie wir es besser machen.

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Publikation
23.06.2025 | Working Paper

Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina

Moreno, Guadalupe (2025): “Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina”. Max Planck Institute for the Study of Societies Discussion Paper 25/3.

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News
22.05.2025

Hat die deliberative Demokratie im Zeitalter von Oligarchen, Autokraten und Patriarchen eine Zukunft?

Am 3. Juni hält Prof. Simone Chambers einen Vortrag zum Wert von Demokratien und der Zukunft der Staatsform.

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Publikation
19.05.2025 | Sammelband

Klimaethik. Ein Reader

Sparenborg, Lukas; Moellendorf, Darrel (Hrsg.) (2025) : Klimaethik. Ein Reader. Suhrkamp.

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News
19.05.2025

Was kann eine barocke Tapisserie über koloniale Ikonographie erzählen?

Vortrag von Cécile Fromone am 21. Mai. Die Professorin am Department of the History of Art and Architecture der Harvard University sowie Direktorin der Cooper Gallery am Hutchins Center und Autorin wird über lange vergessene afrikanische Ursprünge der Ikonographie und deren koloniale Dimension referieren.

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News
05.05.2025

Normative Orders Newsletter 01/25 erschienen

Der Newsletter aus dem Forschungszentrum Normative Ordnungen versammelt mehrmals im Jahr Informationen über aktuelle Veranstaltungen, Berichte, Neuigkeiten und Veröffentlichungen. Lesen Sie hier die erste Ausgabe 2025.

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