Normativität in einer nicht-idealen Welt

Projektleiter:  Prof. Dr. Stefan Gosepath

Den Rahmen der Forschungsprojekte an der Professur für Internationale Politische Theorie bildete das Problem der Normativität in einer nicht-idealen Welt, auf das sich jedes der einzelnen Teilprojekte aus unterschiedlicher Perspektive bezog.

Der erste und umfangreichste Schwerpunkt lag in der Formulierung von Grundlagen für globale bzw. transnationale Gerechtigkeitsnormen, die unseren Umgang mit den bestehenden nicht-idealen Umständen orientieren und anleiten können. Diese Normen fußen erstens auf einer Doktrin der Menschenrechte als Minimalbedingungen für die Legitimität sozialer Organisationen; zweitens auf einer Konzeption transnationaler politischer Ordnung; drittens auf einer Konzeption transnationaler distributiver Gerechtigkeit sowie viertens einer Konzeption globaler Verantwortung. Einen zweiten Schwerpunkt bildeten grundlegende methodologische Fragen (Wie kann sich normative Theorie überhaupt sinnvoll auf Politik und soziale Ordnungen beziehen? Wie lassen sich normative Theorien auf nicht-ideale Umstände, wie sie insbesondere im globalen Kontext gegeben sind, anwenden?). Die Analyse von Normativität überhaupt bildete einen dritten Schwerpunkt. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Erstens, worin besteht und worauf basiert der eigentümliche Verpflichtungscharakter von moralischen und politischen Normen? Zweitens, worin besteht, wenn überhaupt, die Einheitlichkeit der als „Normativität“ bezeichneten Phänomene im theoretischen wie praktischen Bereich. 

Im Rahmen des ersten Schwerpunkts wurden eine Einführung in und Zusammenstellung einiger Schlüsseltexte zur Debatte um globale Gerechtigkeit erstellt (Broszies) (erschienen als: Christoph Broszies und Henning Hahn (Hg.): Globale Gerechtigkeit. Schlüsseltexte zur Debatte zwischen Partikularismus und Kosmopolitismus, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2010),  eine Minimalkonzeption der Verantwortung Bessergestellter gegenüber Menschen in extremer Armut ausgearbeitet (Beck) und konstruktive Vorschläge, wie wir über globale Hilfspflichten und Verantwortung denken sollten, erbracht (Gosepath). Das Projekt umfasste Vorstudien für eine systematische Beantwortung der Frage, ob liberal-egalitäre Gerechtigkeitstheorien auf den globalen Kontext ausgeweitet werden können, und, wenn ja, wie sie sich auf diesen Kontext anwenden lassen (Gosepath). Neben der Verteidigung der Menschenrechte als minimaler, aber globaler Standard der Legitimität (Gosepath) wurden außerdem Vorzüge und Nachteile relationaler und nicht-relationaler Ansätze am Beispiel so genannter „failed states“ (Jugov) erörtert. 
Im Rahmen des zweiten Schwerpunkts wurden Vorstudien zu einer umfassenden Rekonstruktion und Verteidigung des Konstruktivismus als Methode der Gerechtigkeitstheorie für die globale Ebene (Broszies) erarbeitet, eine begründungspluralistische Perspektive auf Weltarmutsverantwortung verteidigt (Beck) und Elemente einer Kritik daran ausgearbeitet, politische Philosophie als ideale/nicht-ideale Theorie der Gerechtigkeit zu betreiben (Schaub).
Im Rahmen des dritten Schwerpunkts des Projekts fanden Vorarbeiten zu einer Studie zum Zusammenhang zwischen Genesis und Geltung von Normen, sowie zur Erläuterung der Relevanz dieser Einsicht für eine Begründung des Ideals demokratischer Selbstbestimmung (Celikates) sowie Erläuterungen zum Ursprung der Normativität (Gosepath) statt.

Zu den wichtigsten Publikationen in diesem Projekt zählen: 
Stefan Gosepath (2012): „Zur Verteidigung der Verteilungsgerechtigkeit“, in: Regina Kreide/Claudia Landwehr/Katrin Toens (Hg.), Demokratie und Gerechtigkeit in Verteilungskonflikten, Baden-Baden: Nomos, 35–49. 
Stefan Gosepath (2009): „Zum Ursprung der Normativität“, in: Rainer Forst, Martin Hartmann, Rahel, Jaeggi, Martin Saar (Hg.): Sozialphilosophie und Kritik. Axel Honneth zum 60. Geburtstag, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 250–268. 
Stefan Gosepath: „Poverty and Responsibility”, in: Elke Mack/Michael Schramm/Stephan Klasen/Thomas Pogge (Hg.): Absolute Poverty and Global Justice. Empirical Data – Moral Theories – Initiatives, Farnham & Burlington: Ashgate 2009, 113–121. 

Die im Projekt begonnenen Dissertationen wurden nach der Laufzeit des Projekts weitergeführt und sind mittlerweile erschienen als:
Valentin Beck (2016): Eine Theorie der globalen Verantwortung. Was wir Menschen in extremer Armut schulden, Frankfurt am Main Suhrkamp.
Tamara Jugov (2019): Geltungsgründe globaler Gerechtigkeit, Frankfurt/New York: Campus (im Erscheinen).

Im Projekt wurden u.a. folgende Konferenzen und Workshops durchgeführt: „Human Rights Today: Foundations and Politics“, Internationale Konferenz, 17.-18.6.2010, „Global Justice: Problems, Principles and Institutions“, Internationale Konferenz, 31.5.-1.6.2012 und „Dimensions of Normativity“, Internationale Konferenz, 21.-23.6.2012.

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

News
30.06.2025

Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich im EJPT erschienen

Der Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich ist soeben Open Access im European Journal of Political Theory (EJPT) erschienen. Ulrich bringt darin die Perspektive des radikalen Realismus mit der kritischen Theorie Adornos in einen produktiven Dialog.

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News
30.06.2025

Prof. Dr. Franziska Fay mit dem Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 ausgezeichnet

Prof. Dr. Franziska Fay (Juniorprofessorin für Ethnologie mit dem Schwerpunkt Politische Anthropologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und ehemalige Postdoktorandin des Forschungszentrums Normative Ordnungen der Goethe-Universität) erhält den Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 in der Kategorie Geistes- und Sozialwissenschaften.

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Publikation
25.06.2025 | Onlineartikel

Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?

Ulrich, Amadeus (2025): Ideology and suffering: What is realistic about critical theory? European Journal of Political Theory, 0(0).  https://doi.org/10.1177/14748851251351782

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News
24.06.2025

Neue Reihe „Vertrauensfragen“ in der Frankfurter Rundschau initiiert von Hendrik Simon

Demokratie lebt vom Streit – wenn er der gemeinsamen Suche nach Lösungen dient. An diesem Miteinander hakt es oft. Die neue FR-Reihe „Vertrauensfragen“ untersucht, initiiert von Hendrik Simon (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) Standort Frankfurt am Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität), woran das liegt und wie wir es besser machen.

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Publikation
23.06.2025 | Working Paper

Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina

Moreno, Guadalupe (2025): “Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina”. Max Planck Institute for the Study of Societies Discussion Paper 25/3.

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News
22.05.2025

Hat die deliberative Demokratie im Zeitalter von Oligarchen, Autokraten und Patriarchen eine Zukunft?

Am 3. Juni hält Prof. Simone Chambers einen Vortrag zum Wert von Demokratien und der Zukunft der Staatsform.

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Publikation
19.05.2025 | Sammelband

Klimaethik. Ein Reader

Sparenborg, Lukas; Moellendorf, Darrel (Hrsg.) (2025) : Klimaethik. Ein Reader. Suhrkamp.

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News
19.05.2025

Was kann eine barocke Tapisserie über koloniale Ikonographie erzählen?

Vortrag von Cécile Fromone am 21. Mai. Die Professorin am Department of the History of Art and Architecture der Harvard University sowie Direktorin der Cooper Gallery am Hutchins Center und Autorin wird über lange vergessene afrikanische Ursprünge der Ikonographie und deren koloniale Dimension referieren.

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News
05.05.2025

Normative Orders Newsletter 01/25 erschienen

Der Newsletter aus dem Forschungszentrum Normative Ordnungen versammelt mehrmals im Jahr Informationen über aktuelle Veranstaltungen, Berichte, Neuigkeiten und Veröffentlichungen. Lesen Sie hier die erste Ausgabe 2025.

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