13.11.2023

Grundsätze der Solidarität. Eine Stellungnahme

Die derzeitige Situation, die durch den an Grausamkeit nicht zu überbietenden Angriff der Hamas und Israels Reaktion darauf geschaffen wurde, hat zu einer Kaskade von moralisch-politischen Stellungnahmen und Demonstrationen geführt. Wir sind der Auffassung, dass bei all den widerstreitenden Sichtweisen, die geäußert werden, einige Grundsätze festzuhalten sind, die nicht bestritten werden sollten. Sie liegen der recht verstandenen Solidarität mit Israel und Jüdinnen und Juden in Deutschland zugrunde.

Das Massaker der Hamas in der erklärten Absicht, jüdisches Leben generell zu vernichten, hat Israel zu einem Gegenschlag veranlasst. Wie dieser prinzipiell gerechtfertigte Gegenschlag geführt wird, wird kontrovers diskutiert; Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Vermeidung ziviler Opfer und der Führung eines Krieges mit der Aussicht auf künftigen Frieden müssen dabei leitend sein. Bei aller Sorge um das Schicksal der palästinensischen Bevölkerung verrutschen die Maßstäbe der Beurteilung jedoch vollends, wenn dem israelischen Vorgehen genozidale Absichten zugeschrieben werden.

Insbesondere rechtfertigt das Vorgehen Israels in keiner Weise antisemitische Reaktionen, erst recht nicht in Deutschland. Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Drohungen gegen Leib und Leben ausgesetzt sind und vor physischer Gewalt auf der Straße Angst haben müssen. Mit dem demokratischen, an der Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde orientierten Selbstverständnis der Bundesrepublik verbindet sich eine politische Kultur, für die im Lichte der Massenverbrechen der NS-Zeit jüdisches Leben und das Existenzrecht Israels zentrale, besonders schützenswerte Elemente sind. Das Bekenntnis dazu ist für unser politisches Zusammenleben fundamental. Die elementaren Rechte auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit sowie auf Schutz vor rassistischer Diffamierung sind unteilbar und gelten gleichermaßen für alle. Daran müssen sich auch diejenigen in unserem Land halten, die antisemitische Affekte und Überzeugungen hinter allerlei Vorwänden kultiviert haben und jetzt eine willkommene Gelegenheit sehen, sie ungehemmt auszusprechen.

Nicole Deitelhoff, Rainer Forst, Klaus Günther und Jürgen Habermas


Principles of solidarity. A statement

The current situation created by Hamas‘ extreme atrocity and Israel’s response to it has led to a cascade of moral and political statements and protests. We believe that amidst all the conflicting views being expressed, there are some principles that should not be disputed. They are the basis of a rightly understood solidarity with Israel and Jews in Germany.

The Hamas massacre with the declared intention of eliminating Jewish life in general has prompted Israel to strike back. How this retaliation, which is justified in principle, is carried out is the subject of controversial debate; principles of proportionality, the prevention of civilian casualties and the waging of a war with the prospect of future peace must be the guiding principles. Despite all the concern for the fate of the Palestinian population, however, the standards of judgement slip completely when genocidal intentions are attributed to Israel’s actions.

In particular, Israel’s actions in no way justify anti-Semitic reactions, especially not in Germany. It is intolerable that Jews in Germany are once again exposed to threats to life and limb and have to fear physical violence on the streets. The democratic ethos of the Federal Republic of Germany, which is orientated towards the obligation to respect human dignity, is linked to a political culture for which Jewish life and Israel’s right to exist are central elements worthy of special protection in light of the mass crimes of the Nazi era. The commitment to this is fundamental to our political life. The elementary rights to freedom and physical integrity as well as to protection from racist defamation are indivisible and apply equally to all. All those in our country who have cultivated anti-Semitic sentiments and convictions behind all kinds of pretexts and now see a welcome opportunity to express them uninhibitedly must also abide by this.

Nicole Deitelhoff, Rainer Forst, Klaus Günther und Jürgen Habermas

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

News
23.10.2025

Vinzenz Hediger wird neuer Direktor der Cinémathèque suisse

Prof. Dr. Vinzenz Hediger wird ab Januar 2026 Direktor der Cinémathèque suisse in Lausanne. Seit 1948 bewahrt, restauriert und fördert die Cinémathèque suisse das schweizerische und internationale Filmerbe. Sie wird von der Internationalen Föderation der Filmarchive (FIAF) als eine der zehn bedeutendsten Kinematheken der Welt anerkannt – aufgrund des Umfangs, der Vielfalt und der Qualität ihrer Sammlungen.

weitere Infos ›
News
23.10.2025

Buchvorstellung von Lea Ypis „Aufrecht - Überleben im Zeitalter der Extreme“ im Rahmen der Frankfurter Buchmesse

Im Rahmen der Buchvorstellung von Lea Ypis „Aufrecht - Überleben im Zeitalter der Extreme“ wurde am 15. Oktober über Fragen nach Würde, Identität, Freiheit und Verantwortung in Zeiten extremer historischer Veränderungen diskutiert.

weitere Infos ›
Publikation
23.10.2025 | Monographie

Exemplarity in Global Politics

Noyes, Dorothy; Wille, Tobias (2025): Exemplarity in Global Politics. Bristol University Press. (Link)

weitere Infos ›
Veranstaltung
15.11.2025 | Frankfurt am Main

Bedingt einsatzbereit – Wehrdienst und die Pflicht zum Dienst am Staat

Podiumsdiskussion, Vortrag

Ein Gespenst geht wieder um in Deutschland – 2026 kommt der Wehrdienst zurück „Zunächst freiwillig“, wie es heißt. Angesichts der veränderten Sicherheitslage in Europa seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Frage nach der "Kriegstüchtigkeit" wieder aktuell – und mit ihr die Frage, was Einzelne für den Staat leisten sollen.

weitere Infos ›
Veranstaltung
06./07.11.2025 | Frankfurt am Main

Kolja Möller - Volk und Elite

Workshop

Workshop zum "Buch Volk und Elite - Eine Gesellschaftstheorie des Populismus" von Kolja Möller

weitere Infos ›
Veranstaltung
31.10.2025/01.11.2025 | Frankfurt am Main

Strafrecht und Kriminalpolitik in den Polykrisen der digitalen Welt

Symposium

Unter der Überschrift „Strafrecht und Kriminalpolitik in den Polykrisen der digitalen Welt“ sollen auf dem XII. Deutsch-Griechischen Strafrechtssymposion die heterogenen Herausforderungen diskutiert werden, mit denen sich das Strafrechtssystem in Zeiten sich häufender und interdependenter Krisen (Klima, Migration) konfrontiert sieht.

weitere Infos ›
Publikation
01.10.2025 | Lexikoneintrag

Moralisieren

Schmelzle, Cord (2025): „Moralisieren“. In: Pollmann, Anna; Möllmann, Christopher: Schlüsselbegriffe gesellschaftlichen Zusammenhalts. Ein kritisches Vokabular, Wallstein, S. 544–561.

weitere Infos ›
Publikation
01.10.2025 | Sammelband

Dis.Ordering Distribution. Infrastructures, Formats and Practices in the Circulation of Culture.

Storz, Cornelia; Hediger, Vinzenz; Krings, Matthias (eds.) (2025): Dis.Ordering Distribution. Infrastructures, Formats and Practices in the Circulation of Culture. Emerald Publishing.

weitere Infos ›
Veranstaltung
03.11.2025 | Offenbach

Ich kann, also bin ich? Eine Kritik ableistischer Diskriminierung in unserer Gesellschaft

Vortrag

Der Vortrag von Dr. Regina Schidel im Rahmen der Goethe Lectures Offenbach analysiert Ableismus aus philosophischer und sozialtheoretischer Perspektive, und zwar exemplarisch am Fall von Menschen mit kognitiven Einschränkungen/geistiger »Behinderung«. Es werden Ursprünge ableistischen Denkens in der philosophischen Tradition entwickelt, in ihrer gesellschaftlichen Funktionalität untersucht und Möglichkeiten befragt, diese zu überwinden – diese stammen etwa aus kritischer und feministischer Theoriebildung.

weitere Infos ›