Legitimation durch Völkerrecht und Legitimation des Völkerrechts 

Projektleitung: Prof. Dr. Stefan Kadelbach und Prof. Dr. Jens Steffek

Die Herausbildung neuer inter- und suprastaatlicher Gebilde hat zu einer starken Verrechtlichung internationaler Beziehungen geführt. Die Legitimation dieser Herrschaftsstrukturen tritt häufig in Konflikt zu staatlichen Ordnungen. Ihr Anspruch auf Vorrang gegenüber diplomatischem oder machtpolitischem Kalkül einzelner Staaten geht mit positiver Normsetzung einher, die durch den Verweis auf das Völkerrecht legitimiert wird. Das Projekt erklärt Legitimationsnarrative im Völkerrechts- und Menschenrechtsdiskurs im Verhältnis zu ihrer konkreten empirischen Anwendung und trägt somit Erkenntnisse über die Pluralität ihrer Begründungszusammenhänge in das Forschungsfeld hinein.

Das Forschungsprojekt untersuchte völkerrechtliche Rechtfertigungsnarrative, die von einer Konfrontation zwischen positiven und naturrechtlichen Ansätzen geprägt sind. Ihre normative Verbindlichkeit wurde im Projekt zum einen ideengeschichtlich anhand der Entstehung des neuzeitlichen Völkerrechtsdiskurses herausgearbeitet. Zum anderen wurde am aktuellen Diskurs im post-revolutionären Ägypten und Tunesien die empirische Anwendung von überstaatlichen Gerechtigkeitsstandards wie Menschenrechten untersucht.

Die philosophiegeschichtliche Aufarbeitung wurde von einer 2014 in Frankfurt abgehaltenen Tagung vorbereitet, auf deren Diskussionsgrundlage bis Herbst 2015 Beiträge zu staatlichen, rechtlichen und legitimatorischen Zusammenhängen der neuzeitlichen völkerrechtlichen Ordnungszusammenhänge entstanden sind. Eine fokussierte und intensive Besprechung der wichtigsten Ergebnisse erfolgte im Mai 2015 während einer zweiten Tagungsphase in der Villa Vigoni in Italien. Die Artikel wurden in dem Sammelband System, Order, and International Law: The Early History of International Legal Thought from Machiavelli to Hegel (2017) veröffentlicht, der bei Oxford University Press erschienen ist.

Narrative der Entstehung völkerrechtlicher Theorie sind allzu oft Projektionen späterer Epochen, die sich speziellen Rezeptionslinien verdanken. Auf der anderen Seite ist ein strikt historisch-kontextualistischer Ansatz kaum möglich. Für die interdisziplinäre Forschung empfiehlt sich ein reflektierter, moderater Anachronismus, der die Zeitgebundenheit der Theorie anerkennt, aber nicht der Versuchung erliegt, alles unter den Verdacht des (Proto-)Kolonialismus und Eurozentrismus zu stellen, sondern ihr Potenzial für eine konstruktiv(istisch)e Rezeption nutzt. So kann sich der Stellenwert der globalen Ordnungsentwürfe besser erschließen, die in einer besonderen diskursiven Sphäre (international legal thought) entstanden sind und die Ursprünge der heutigen Ansätze für die Legitimation des Völkerrechts bilden.

Eine Feldforschung von Frau El Ouerghemmi  zur Rolle internationaler Rechtsnormen bei der politischen Aufarbeitung von Verbrechen der autoritären Regime in Ägypten und Tunesien lieferte viele empirische Befunde. Sie untersuchte das Spannungsverhältnis zwischen dem innenpolitischen Umgang mit Gerichtsprozessen zur Bestrafung von Tätern und den externen Erwartungen an diesen Aufarbeitungsprozess. In Tunesien hat sich ein Verständnis von Aufarbeitung durchgesetzt, das externe Erwartungen oft erfüllt, die Forderungen der Opfer hingegen an entscheidenden Punkten wenig berücksichtigt. In Ägypten hingegen kam es zu einer starken Politisierung der Vergangenheitsaufarbeitung, welche die Legitimität etwaiger Bemühungen untergräbt.

Die wichtigsten Publikationen im Forschungsprojekt:

*Steffek, Jens und Leonie Holthaus: “The Social-democratic Roots of Global Governance: Welfare Internationalism from the 19th Century to the United Nations”, in: European Journal of International Relations, 2017

*Kadelbach, Stefan/Thomas Kleinlein/David Roth-Isigkeit (Hg.): System, Order, and International Law: The Early History of International Legal Thought, Oxford: Oxford University Press, 2017.

Kadelbach, Stefan: „Konstitutionalisierung und Rechtspluralismus – Über die Konkurrenz zweier Ordnungsentwürfe“, in: J. Bung und A. Engländer (Hg.): Souveränität, Transstaatlichkeit und Weltverfassung – Tagung der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) im September 2014 in Passau, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 153, 2017, S. 97–108.

*Steffek, Jens: “The Output Legitimacy of International Organizations and the Global Public Interest”, in: International Theory 7(2), 2015, S. 263–293.

Personen in diesem Projekt:

Projektleitung / Ansprechpartner

Kadelbach, Stefan, Prof. Dr. 

Steffek, Jens, Prof. Dr.

Projektmitarbeiter

El Ouerghemmi, Nadia

Holthaus, Leonie

Roth-Isigkeit, David, Dr. 

Urun, Dogan

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

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14.07.2025 | Frankfurt

Utopie und Aufbruch der 1968er – Was von politischer Rebellion und individueller Selbstbefreiung geblieben ist

Podiumsdiskussion

Die Diskussionsrunde mit Rainer Langhans, Christa Ritter, die seit 1978 zur Selbsterfahrungsgruppe um Langhans gehört, und dem Sozialphilosophen Martin Saar widmet sich utopischen Vorstellungen, die von der 1968er Bewegung ausgingen, und beleuchtet deren Ideale, Impulse, individuelle und gesellschaftspolitische Nachwirkungen.

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Veranstaltung
15.07.2025 | Frankfurt am Main

Klimaethik - Ein Reader

Buchvorstellung

Vorstellung des Buchs mit Dr. Lukas Sparenborg (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaften an der Goethe-Universität) und Prof. Dr. Darrel Moellendorf (Professor für Internationale Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität, Distinguished Visiting Professor an der Universität Johannesburg, Mitglied des Forschungszentrums Normative Ordnungen)

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30.06.2025

Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich im EJPT erschienen

Der Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich ist soeben Open Access im European Journal of Political Theory (EJPT) erschienen. Ulrich bringt darin die Perspektive des radikalen Realismus mit der kritischen Theorie Adornos in einen produktiven Dialog.

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News
30.06.2025

Prof. Dr. Franziska Fay mit dem Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 ausgezeichnet

Prof. Dr. Franziska Fay (Juniorprofessorin für Ethnologie mit dem Schwerpunkt Politische Anthropologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und ehemalige Postdoktorandin des Forschungszentrums Normative Ordnungen der Goethe-Universität) erhält den Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 in der Kategorie Geistes- und Sozialwissenschaften.

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Publikation
25.06.2025 | Onlineartikel

Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?

Ulrich, Amadeus (2025): Ideology and suffering: What is realistic about critical theory? European Journal of Political Theory, 0(0).  https://doi.org/10.1177/14748851251351782

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News
24.06.2025

Neue Reihe „Vertrauensfragen“ in der Frankfurter Rundschau initiiert von Hendrik Simon

Demokratie lebt vom Streit – wenn er der gemeinsamen Suche nach Lösungen dient. An diesem Miteinander hakt es oft. Die neue FR-Reihe „Vertrauensfragen“ untersucht, initiiert von Hendrik Simon (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) Standort Frankfurt am Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität), woran das liegt und wie wir es besser machen.

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Publikation
23.06.2025 | Working Paper

Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina

Moreno, Guadalupe (2025): “Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina”. Max Planck Institute for the Study of Societies Discussion Paper 25/3.

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22.05.2025

Hat die deliberative Demokratie im Zeitalter von Oligarchen, Autokraten und Patriarchen eine Zukunft?

Am 3. Juni hält Prof. Simone Chambers einen Vortrag zum Wert von Demokratien und der Zukunft der Staatsform.

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Publikation
19.05.2025 | Sammelband

Klimaethik. Ein Reader

Sparenborg, Lukas; Moellendorf, Darrel (Hrsg.) (2025) : Klimaethik. Ein Reader. Suhrkamp.

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