Gerichte als Foren der Kritik

Dr. Tatjana Sheplyakova

Laufzeit des Forschungsprojekts: 02/2018 – 04/2021

Etwas auf eine Norm hin zu beurteilen, gehört seit der Antike zum semantischen Kern von Kritik. In diesem Sinne ist die Tätigkeit der Gerichte als genuin kritisch zu bezeichnen. Erläuterungsbedürftig ist allerdings, ob es sich um eine Form von Kritik handelt, die das Rechtssystem gegen Veränderung immunisiert – um eine Kritik ohne „Wirkung“ (Nietzsche), deren Funktion darin besteht, systemerhaltend und -stabilisierend zu sein. Oder aber ob die Gerichte nicht doch, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, als Orte einer Kritik verstanden werden können, die emanzipatorisch wirkt und durch einen Fortschritt im Recht gesellschaftlichen Wandel freisetzt.

Diese Frage ist im ersten Schritt vor dem Hintergrund der Skepsis gegenüber den Gerichten zu diskutieren, die in radikaldemokratischen und souveränitätszentrierten Ansätzen in der politischen Philosophie und Theorie weit verbreitet ist. Im zweiten Schritt ist Hegels Ausführungen zur Rechtspflege nachzugehen: In den Grundlinien seiner Rechtsphilosophie (1821, §§ 209–229) gibt Hegel der Vorstellung Raum, dass das gerichtliche Verfahren nicht, jedenfalls nicht nur als Wiedergutmachung der Rechtsverletzung durch Affirmation der Norm zu denken ist. Vielmehr eröffnet es einen Raum, an dem das Unrecht der „bürgerlichen Gesellschaft“ selbst kognitiv zugänglich gemacht werden kann, also im Grunde einen Raum der Reflexion darauf, worin der naturwüchsige Charakter ihrer Gesetze besteht. Dieser Zusammenhang ist näher zu erläutern. Ziel ist dabei, davon ausgehend in einem dritten Schritt schließlich eine kritische Typologie von Klagen zu skizzieren und Kriterien zu identifizieren, die es erlauben, emanzipatorische von rein privatisierenden oder politisch motivierten Klagen zu unterscheiden.

Ausgewählte Publikationen zum Projekt:

Sheplyakova, Tatjana (2018): Klagen als Ausübung der „Gegenrechte“, in: Andreas Fischer-Lescano/Hannah Franzki/Johan Horst (Hrsg.), Gegenrechte. Rechte jenseits des Subjekts, Mohr Siebeck: Tübingen, S. 205–226. 
Sheplyakova, Tatjana (2016):Das Klagerecht oder Individuen als Rechtserzeuger, in: Sabrina Zucca-Soest (Hrsg.), Akteure im Recht, Nomos: Baden-Baden, S. 31–46.
Sheplyakova, Tatjana (2016): Das Recht der Klage aus demokratietheoretischer Perspektive, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 64 (1), S. 45–67.

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

News
30.06.2025

Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich im EJPT erschienen

Der Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich ist soeben Open Access im European Journal of Political Theory (EJPT) erschienen. Ulrich bringt darin die Perspektive des radikalen Realismus mit der kritischen Theorie Adornos in einen produktiven Dialog.

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30.06.2025

Prof. Dr. Franziska Fay mit dem Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 ausgezeichnet

Prof. Dr. Franziska Fay (Juniorprofessorin für Ethnologie mit dem Schwerpunkt Politische Anthropologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und ehemalige Postdoktorandin des Forschungszentrums Normative Ordnungen der Goethe-Universität) erhält den Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 in der Kategorie Geistes- und Sozialwissenschaften.

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25.06.2025 | Onlineartikel

Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?

Ulrich, Amadeus (2025): Ideology and suffering: What is realistic about critical theory? European Journal of Political Theory, 0(0).  https://doi.org/10.1177/14748851251351782

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24.06.2025

Neue Reihe „Vertrauensfragen“ in der Frankfurter Rundschau initiiert von Hendrik Simon

Demokratie lebt vom Streit – wenn er der gemeinsamen Suche nach Lösungen dient. An diesem Miteinander hakt es oft. Die neue FR-Reihe „Vertrauensfragen“ untersucht, initiiert von Hendrik Simon (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) Standort Frankfurt am Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität), woran das liegt und wie wir es besser machen.

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Publikation
23.06.2025 | Working Paper

Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina

Moreno, Guadalupe (2025): “Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina”. Max Planck Institute for the Study of Societies Discussion Paper 25/3.

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News
22.05.2025

Hat die deliberative Demokratie im Zeitalter von Oligarchen, Autokraten und Patriarchen eine Zukunft?

Am 3. Juni hält Prof. Simone Chambers einen Vortrag zum Wert von Demokratien und der Zukunft der Staatsform.

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Publikation
19.05.2025 | Sammelband

Klimaethik. Ein Reader

Sparenborg, Lukas; Moellendorf, Darrel (Hrsg.) (2025) : Klimaethik. Ein Reader. Suhrkamp.

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News
19.05.2025

Was kann eine barocke Tapisserie über koloniale Ikonographie erzählen?

Vortrag von Cécile Fromone am 21. Mai. Die Professorin am Department of the History of Art and Architecture der Harvard University sowie Direktorin der Cooper Gallery am Hutchins Center und Autorin wird über lange vergessene afrikanische Ursprünge der Ikonographie und deren koloniale Dimension referieren.

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