Die Normativität formalen Wissens: Exakte Wissenschaften, Gleichheit und situierter Universalismus im 18. Jahrhundert

Projektleitung: Prof. Dr. Moritz Epple

Das Projekt untersucht das Zusammenspiel von formalem Wissen und der Formulierung normativer Positionen in der europäischen Aufklärung anhand des französischen Enzyklopädisten Jean d’Alembert. Ziel ist die Herausgabe einer kommentierten Übersetzung seiner Schrift „Essai sur les Éléments de Philosophie“, die drei interpretierende Essays zu den Aspekten ‚Naturwissenschaft‘, ‚Moralphilosophie‘ und ‚Epistemologie‘ umfassen wird. Im Zentrum des Interesses liegt die Allianz zwischen den an Einfluss gewinnenden mathematischen Wissenschaften und den sensualistisch-materialistischen epistemologischen Positionen der Zeit einerseits, mit bestimmten politischen Strömungen der Aufklärung andererseits. So wird etwa in der Diskussion, welches Wissen Gewissheit (certitude) beanspruchen kann, nicht nur Wissen selbst definiert, sondern gleichzeitig jede Art von Metaphysik abgelehnt. Damit werden nicht nur epistemologische Fragen beantwortet, sondern religiöse und traditionelle Geltungsansprüche abgelehnt. Dies verbindet D’Alembert mit Schlussfolgerungen über diejenige Gesellschaftsordnung, die auf einem solchen Wissen aufruht: Aus dem anthropologischen Gesetz der Selbsterhaltung eines auf Gesellschaft angewiesenen Wesens folgt für ihn eine radikale Umverteilungspolitik, solange in einer Gesellschaft Luxus und Armut koexistieren.  

Die Untersuchung zieht eine Verbindungslinie von epistemologischen Fragestellungen und Positionen zu normativen, gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen. Sie liefert so einen historischen Beitrag zum Verständnis der zentralen Rechtfertigungsbegriffe von Gleichheit und Gerechtigkeit, die im Cluster behandelt werden. Die in diesen Begriffen enthaltene Ambivalenz gibt Aufschluss über normative Konflikte, die sich in der Durchsetzung der Gerechtigkeitsvorstellungen ereignen.

Die Übersetzung und Kommentierung des Essays erfolgt in enger Kooperation mit dem französischen Herausgeberteam der Œuvres von D’Alembert und der französischen Forschungsgruppe „Groupe d’Alembert“ (Pariser Académie des sciences). Wissenstransfers fanden bei Vorträgen, Kooperations- und Arbeitstreffen in Lyon, Paris, Montpellier, Göttingen und in Marseille / Luminy statt. Dort konnte auch Christophe Schmit gewonnen werden, der einen einmonatigen Aufenthalt in Frankfurt absolvierte. Die Projektarbeit wird von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dagmar Comtesse geleistet, die im Laufe der zweiten Förderperiode ihre Promotion im Fach Philosophie absolviert hat. Bei der Revision der Übersetzung hilft die bilinguale wissenschaftliche Hilfskraft Céline Volders. Momentan wird das Manuskript fertig gestellt und beim Meiner-Verlag eingereicht.

Während der zweiten Förderperiode konnte die Arbeitsthese weiter entwickelt werden, dass sich ein Zusammenhang zwischen D’Alemberts epistemologischer Perspektive auf formale Wissenschaften und seinem Konzept einer science moraleentwickeln lässt. Dieser Zusammenhang wurde von Moritz Epple in mehreren Vorträgen und Veröffentlichungen am Begriff der ‘Gleichheit’ entfaltet. Außerdem zeichnet sich aus der Bearbeitung der praktischen Philosophie D’Alemberts der Entwurf eines größeren Forschungsprojektes zur Politischen Philosophie der Encyclopédie ab. Beide Zwischenergebnisse ziehen eine Verbindungslinie von epistemologischen Fragestellungen und Positionen zu normativen, gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen.

Die Ergebnisse des Projekts wurden auch vorgestellt von Dagmar Comtesse auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Philosophie (DGPhil) im September 2014 in Münster. Der Vortragstitel lautete: „Die Politische Philosophie der Encyclopédie.“ Im Oktober 2017 wird Dagmar Comtesse weitere Ergebnisse vorstellen im Rahmen der internationalen Konferenz zur 300-Jahrfeier D’Alemberts an der Université Montpellier. Der Titel Ihres Vortrags lautet: „D’Alembert dans les débats de son temps“.

Die wichtigsten Publikationen in diesem Projekt:

Comtesse, Dagmar und Moritz Epple: Jean D’Alembert: Versuch über die Elemente der Philosophie, i.E.

Comtesse, Dagmar und Moritz Epple: „Between Appropriation and Rejection: Translating D’Alembert into German”, and „D’Alembert on Translation“, in: A. Guilbaud/C. Schmit (Hg.): Tercentenary of Jean Le Rond D’Alembert’s Birth (1717–1783). A Review of the Latest Research, Sonderheft des Journal Centaurus, i.E.

Comtesse, Dagmar: „Religion, Religionskritik, Zivilreligion und Revolution”, in: Franziska Flügel-Martinsen (Hg.): Staatsverständnisse in Frankreich, Baden-Baden: Nomos, i.E.

*Epple, Moritz: „Ulikhet, grenser og alliansen mellom de lærde og de store: Utidssvarende betraktninger fra en encyclopedist“, in: ARR – Idéhistorisk Tidsskrift 4, 2015, (= Liv, Arr, idéhistorie: Festtidskrift til Espen Schaanning), 2015, S. 27–49.

Epple, Moritz und Dagmar Comtesse: „Auf dem Weg zu einer Revolution des Geistes? Jean d’Alembert als Testfall“, in: A. Fahrmeir und A. Imhausen (Hg.): Die Vielfalt normativer Ordnungen: Konflikte und Dynamik in historischer und ethnologischer Perspektive, Frankfurt am Main: Campus, 2013, S. 21–47.

Personen in diesem Projekt:

Projektleitung / Ansprechpartner

Epple, Moritz, Prof. Dr.

Projektmitarbeiter

Comtesse, Dagmar, Dr.

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

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15.10.2025 | Frankfurt am Main

Aufrecht. Überleben im Zeitalter der Extreme

Buchvorstellung

In ihrem jüngsten Werk begibt sich Lea Ypi auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familie und verknüpft persönliche Erinnerungen mit den großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Das Forschungszentrum Normative Ordnungen lädt gemeinsam mit dem Netzwerk FrauenmitFormat, dem Honorarkonsulat der Republik Albanien in Frankfurt am Main und dem Suhrkamp Verlag herzlich zur Vorstellung des neuen Buches von Prof. Dr. Lea Ypi mit anschließender Diskussionsrunde mit Prof. Dr. Lea Ypi, Honorarkonsulin Dr. Jonela Hoxhaj und Prof. Dr. Rainer Forst unter der Moderation von Rebecca C. Schmidt ein.

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02.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration

Schmid, Lukas; Ruhs, Martin; Bauböck, Rainer; Mourão Permoser, Julia (2025): “Beyond Myth Busting: How Engagement with Ethical Dilemmas Can Improve Debates and Policymaking on Migration”. In: Ethics & International Affairs, 39 (1), S. 26-36.

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Publikation
01.09.2025 | Zeitschriftenartikel

Roundtable: Ethical Dilemmas and Migration Policymaking

Schmid, Lukas; Ruhs, Martin; Bauböck Rainer, Mourão Permoser, Julia (Hrsg.) (2025): "Roundtable: Ethical Dilemmas and Migration Policymaking". In: Ethics & International Affairs, 39 (1)

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17.09.2025 | Frankfurt am Main

Frieden retten! Friedensgutachten 2025

Buchvorstellung

Der Frieden ist auf dem Rückzug: Russlands Krieg in der Ukraine destabilisiert Europa, der Krieg in Gaza stürzt den Nahen Osten in Leid und Gewalt, und im Sudan hat der Konflikt die größte humanitäre Katastrophe der Welt ausgelöst. Zugleich fällt der globale Stabilitätsanker USA aus. Das Friedensgutachten 2025 zeigt, warum Europa selbst für seine Sicherheit und Verteidigung sorgen und zugleich am Ziel des Friedens festhalten muss.

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Pavan Malreddy erhält Heisenberg-Förderung

Der Wissenschaftler erhält die Förderung aus dem Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ein Forschungsprojekt zu Ethik und Ästhetik von zeitgenössischen literarischen Migrantenkulturen.

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31.07.2025

Zukunft gestalten – Ein Rückblick

Im Rahmen der Ausstellung „Fixing Futures. Planetare Zukünfte zwischen Spekulation und Kontrolle“ fand unsere vierteilige Vortragsreihe „Zukunft gestalten – Zwischen Klimawandel, Technologie und gesellschaftlicher Verantwortung“ statt.

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30.07.2025

Was bleibt von "1968"? – Veranstaltungsrückblick

Was können wir aus der 68er-Bewegung für unsere eigene Zeit lernen und wo braucht es vielleicht neue Ideen und Utopien? Diesen Fragen widmete sich die Veranstaltung "Utopie und Aufbruch der 1968er – Was von politischer Rebellion und individueller Selbstbefreiung geblieben ist" am 14. Juli 2025 im Historischen Museum

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10.07.2025

Eindrücke vom Crisis Talk „Europa in einer multipolaren Welt”

Der Crisis Talk "Europa in einer multipolaren Welt – Wie kann die EU den Herausforderungen gegenüber Großmächten begegnen?" widmete sich am 1. Juli 2025 in der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union der Frage, wie die EU in diesem internationalen Umfeld ihren Einfluss gestalten und ihre Verantwortung wahrnehmen sollte.

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08.07.2025

Überlegungen zur Verteidigung der Demokratie – Zwei Krisen der Demokratie

Die Herausforderungen sind global, wir agieren aber immer noch national. Zudem fehlen uns die Begriffe, um uns politisch-normativ zu orientieren. Ein Beitrag von Rainer Forst in der FR über die zwei Krisen der Demokratie.

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