Die Bibel als norma normans

Projektleitung: Prof. em. Dr. Luise Schorn-Schütte

Heilige Texte sind zu allen Zeiten als Legitimation und Rechtfertigungsklausel für bestimmte politische Entscheidungen herangezogen worden. Sie dienten damit als umfassender Rahmen, aus dem die konkreten politisch-sozialen Entscheidungen z. B. frühneuzeitlicher Gesellschaften in Europa ihren überzeitlichen Geltungsanspruch ableiteten. Beispielhaft dafür ist die Verwendung bestimmter Bibelstellen aus Altem und Neuem Testament, um den Charakter guter Herrschaft zu benennen, um bestimmte Verfassungsformen als überzeitlich gültig darzustellen, um den Einsatz von Gewalt zu legitimieren u.a.m.
In diesem Projekt wurde der Einsatz von Bibelstellen als nicht hintergehbare Norm, als norma normans, anhand bestimmter Quellengruppen und in einer konfessionsvergleichenden sowie überregionalen Blickrichtung analysiert.
Auf diese Weise konnte das Projekt zum Verständnis beitragen, wie heilige Texte grundlegende Normen legitimieren und entsprechende Rechtfertigungsnarrative gesellschaftlich funktionieren. Insbesondere konnten im Rahmen des Projekts auch neue Erkenntnisse zur historischen Datierung und Entstehung der Grundrechte, als grundlegende Normen der Moderne gewonnen werden.

Dabei wurden die Übergangsriten im frühneuzeitlichen Christentums, insbesondere die Taufe, die Ehe (zwischen Angehörigen der verschiedenen christlichen Konfessionen sowie Angehörigen des Christentums und des Judentums bzw. des Islam [= Angehörige „ungleichen Kultes“]) und die mit dem Tod verbundenen Rituale (Trostriten im Sterbefall, Trauerfeier) als Schlüssel zur Analyse der interkonfessionellen/interreligiösen Auseinandersetzungen bearbeitet. Grundlage der Forschungen war die reiche Quellenlage in den vatikanischen Archiven.

Bei deren Analyse bestätigte sich, dass der gemeinsame Horizont dieser Kontroversen, stets die gelehrte Auslegung von Altem und Neuem Testament ist und es immer und ausschließlich darum geht, wie weit die Bibel als norma normans sowohl in der theologischen Rechtfertigung als auch in der praktischen Wirkung in die Welt fungiert und anerkannt wird. Anhand der Quellenbefunde konnte das Projekt zudem sichtbar machen, dass die Entstehung der Grundrechte bereits im europäischen XVI. Jahrhundert angesetzt werden kann. Mit Hilfe der Erarbeitung einer umfangreichen Datenbank, wurde der argumentative Einsatz bestimmter Bibelstellen (Neues und Altes Testament) in den zu analysierenden Konflikten u.a. um die Rechte von Frauen und von religiösen Minderheiten systematisiert. Auf diese Weise konnte untersucht werden, inwieweit es eine Normsetzungskompetenz des „Gewissens“, der praktischen Toleranz gab, bzw. wie sich eine solche Normsetzungskompetenz etabliert oder gewandelt und erweitert hat.

Die wichtigsten Publikationen in diesem Projekt:

*Schorn-Schütte, Luise: Die Reformation. Vorgeschichte, Verlauf, Wirkung, C.H.Beck: München, 7. überarb. Aufl., 2017.

*Schorn-Schütte, Luise: Gottes Wort und Menschenherrschaft. Politisch-theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit, C.H.Beck: München 2015.

Cristellon, Cecilia und Luise Schorn-Schütte  (Hg.): Die Bibel als norma normans – zur Entstehung und Praxis von Grundrechten im Europa der Frühen Neuzeit, Göttingen: V&R unipress, i.E.

*Cristellon, Cecilia: „Due fedi in un corpo. Matrimoni misti fra delicta carnis, scandalo, seduzione e sacramento nell’Europa di età moderna“, in: Quaderni storici 1/2014 (April), Sonderheft „Corpi familiari”, Hg. von M. Lanzinger, D. Rizzo, S. 41–70. 


Cristellon, Cecilia und Silvana Seidel Menchi: „Religious Life”, in: E. Dursteler (Hg.): A Companion to Venetian History, 1400-1797, Leiden/Boston: Brill, 2014, S. 379–419, (Cristellon, S. 379–398).

Die wichtigsten Veranstaltungen in diesem Projekt:

Internationales Arbeitsgespräch: Grundrechte und Religion im Europa der Frühen Neuzeit, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 27.–28. November 2014.

Internationale Tagung: Religious contacts and conflicts in the rites of passage: European and extra-European perspectives on the Early Modern period, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Goethe-Universität, Frankfurt am Main (finanziert von der Max Weber-Stiftung), 3.–4. Juli 2014.

Personen in diesem Projekt:

Projektleitung / Ansprechpartner

Schorn-Schütte, Luise, Prof. em. Dr.

Projektmitarbeiter

Cristellon, Cecilia, Dr.

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

News
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Der Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich ist soeben Open Access im European Journal of Political Theory (EJPT) erschienen. Ulrich bringt darin die Perspektive des radikalen Realismus mit der kritischen Theorie Adornos in einen produktiven Dialog.

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News
30.06.2025

Prof. Dr. Franziska Fay mit dem Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 ausgezeichnet

Prof. Dr. Franziska Fay (Juniorprofessorin für Ethnologie mit dem Schwerpunkt Politische Anthropologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und ehemalige Postdoktorandin des Forschungszentrums Normative Ordnungen der Goethe-Universität) erhält den Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 in der Kategorie Geistes- und Sozialwissenschaften.

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Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?

Ulrich, Amadeus (2025): Ideology and suffering: What is realistic about critical theory? European Journal of Political Theory, 0(0).  https://doi.org/10.1177/14748851251351782

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Neue Reihe „Vertrauensfragen“ in der Frankfurter Rundschau initiiert von Hendrik Simon

Demokratie lebt vom Streit – wenn er der gemeinsamen Suche nach Lösungen dient. An diesem Miteinander hakt es oft. Die neue FR-Reihe „Vertrauensfragen“ untersucht, initiiert von Hendrik Simon (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) Standort Frankfurt am Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität), woran das liegt und wie wir es besser machen.

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23.06.2025 | Working Paper

Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina

Moreno, Guadalupe (2025): “Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina”. Max Planck Institute for the Study of Societies Discussion Paper 25/3.

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22.05.2025

Hat die deliberative Demokratie im Zeitalter von Oligarchen, Autokraten und Patriarchen eine Zukunft?

Am 3. Juni hält Prof. Simone Chambers einen Vortrag zum Wert von Demokratien und der Zukunft der Staatsform.

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Publikation
19.05.2025 | Sammelband

Klimaethik. Ein Reader

Sparenborg, Lukas; Moellendorf, Darrel (Hrsg.) (2025) : Klimaethik. Ein Reader. Suhrkamp.

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19.05.2025

Was kann eine barocke Tapisserie über koloniale Ikonographie erzählen?

Vortrag von Cécile Fromone am 21. Mai. Die Professorin am Department of the History of Art and Architecture der Harvard University sowie Direktorin der Cooper Gallery am Hutchins Center und Autorin wird über lange vergessene afrikanische Ursprünge der Ikonographie und deren koloniale Dimension referieren.

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05.05.2025

Normative Orders Newsletter 01/25 erschienen

Der Newsletter aus dem Forschungszentrum Normative Ordnungen versammelt mehrmals im Jahr Informationen über aktuelle Veranstaltungen, Berichte, Neuigkeiten und Veröffentlichungen. Lesen Sie hier die erste Ausgabe 2025.

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