Arenen des Immateriellen: Akteure im Spannungsfeld divergierender Normen des geistigen Eigentums in Afrika

Projektleitung: Prof. Dr. Mamadou Diawara

Das Projekt untersuchte die geschichtliche Entwicklung der Rechte am geistigen Eigentum in Afrika sowie deren Umsetzung durch lokale Akteure im Kontext zunehmender globaler Mobilität. Es verfolgte, wie sich der rechtliche Rahmen des geistigen Eigentums konkret im Feld artikuliert, wie die Akteure vor Ort diese Rechtsnormen umsetzen und wie sich diese verändern, wenn die Akteure mit ihnen arbeiten und sie den lokalen Praxen und ihren Interessen anpassen. Das Projekt analysierte das Spannungsfeld, in dem sich die international angleichenden Rechtsnormen zum Schutz des geistigen Eigentums befinden, wenn sie auf etablierte Rechtsformen vor Ort und das lokale Rechtsempfinden treffen. Konkret sollte herausgefunden werden, in welchem Umfang sich die verschiedenen Normen des geistigen Eigentums (z.B. Autorenrecht, Copyright, Patente, Markenrecht, Folklore, Schutz lokalen Wissens) etablieren konnten, in welcher lokalen Gemengelage sie jeweils eine Rolle zu spielen beginnen, und welche komplexen lokalen Beziehungsgeflechte involviert sind, welche für die mehr oder weniger erfolgreiche Umsetzung eine Rolle spielen.

Das Markenrecht und das Autorenrecht finden als „products of modernity“ oder „travelling models“ in einem andauernden Prozess Eingang in afrikanische Gesellschaften. Um diesen Prozess zu verstehen, ist es wichtig, die Bedingungen der Wirkmächtigkeit von Normen in der Realität gesellschaftlicher Verhältnisse zu untersuchen. Sofern die Regeln als von außen kommend wahrgenommen werden, folgen die individuellen Akteure diesen nur insofern als diese Regeln für sie von direktem Vorteil sind und fordern vom Staat den effektiven Schutz ihrer Rechte. Doch um dies zu tun, wäre der Staat auf ihre Mitarbeit angewiesen. Gleichzeitig folgen auch die Repräsentanten des Staats nicht unbedingt den eingeführten Regeln, da sie ebenso individuelle Akteure mit eigenen Interessen sind. Insofern entsteht eine Spannung, die sich erst produktiv entwickeln kann, wenn die beteiligten Akteure in den Normen eine Sinnhaftigkeit erkennen. Insofern geraten die mit der Einführung des geistigen Eigentums einhergehenden Rechtfertigungsnarrative leicht mit den Interessen und dem Wissensgefälle der Akteure in Konflikt oder erscheinen ihnen vorteilhaft. Durch das selektive Aufnehmen nur bestimmter normativer Bestandteile entstehen von intrinsischen Widersprüchen geprägte, dynamische sich fortlaufend wandelnde normative Ordnungen.

Die Untersuchung fand aus drei Perspektiven statt: einer diachronen, einer akteurszentrierten und einer transnationalen Perspektive. Die Erarbeitung dieser drei Perspektiven geschah durch Literaturanalyse und vor allem durch Feldforschungen vor Ort in Afrika. Das Studium der lokalen Perspektive durch „dichte Teilnahme“ und interaktive Interviews ermöglicht es Ethnologen, die Sichtweise der Akteure, ihr Erleben der Normen, ihre Motive und die Begründungen für ihr Handeln zu erfassen.

Die Ergebnisse der Feldforschung zeigen, dass die unterschiedliche vorkoloniale Geschichte und die durch bestimmte Ideologien geprägten kolonialen und postkolonialen Regierungen gegenwärtige Eigenheiten im Umgang mit Kulturgütern in den untersuchten Ländern (Kamerun und Mali) stark geprägt haben. Die Ergebnisse verweisen dabei insgesamt auf eine Diskrepanz zwischen Norm und Realität (oder Handlungspraxis) hin, insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Diskurse über Piraterie. Sie verweisen auch darauf, dass die vielschichtigen Erfahrungswerte lokaler Akteure dabei eine signifikante Rolle spielen. Dies bedeutet, dass der Staat nicht mehr als neutrales Instrument der Normenumsetzung gelten kann, sondern dass staatliche wie auch die oft gut informierten lokalen Akteure jeweils nach eigenen sozial inskribierten Logiken und Interessen handeln.

Die wichtigsten Veranstaltungen in diesem Projekt:

Workshop: Mamadou Diawara und Ute Röschenthaler, State regulations and Local Praxis (mit Nachwuchswissenschaftlern aus Afrika und Deutschland), Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 14.–18. und 27.–28. Juli 2014.

Symposium: Who owns the praise? Oral literature, cultural norms and rights in artistic productions in Africa (zum 60. Geburtstag von Mamadou Diawara, veranstaltet von Ute Röschenthaler und Matthias Grubera), Lautertal, 9. Mai 2014.  

Konferenz: How does transnational mobility transform cultural production? Informality and remediation in African popular cultures (organisiert von Ute Röschenthaler, Alessandro Jedlowski, Patrick Oloko und Ibrahima Wane), Point Süd  in Ouagadougou, Burkina Faso, 4.–10. Januar 2013.

Internationale Konferenz: Intellectual Property, Normative Orders and Globalisation, Teil 2, (organisiert von Mamadou Diawara und Ute Röschenthaler), in Kooperation mit ZIAF, Forschungskolleg Bad Homburg, 2.–4. Juni 2011.

Internationaler Workshop: Intellectual Property, Normative Orders and Globalisation (organisiert von Mamadou Diawara und Ute Röschenthaler), in Kooperation mit ZIAF, Forschungskolleg Bad Homburg, 2.–4. Dezember 2010.

Die wichtigsten Publikationen in diesem Projekt:

*Röschenthaler, Ute: „Copying, branding, and the ethical implications of rights in immaterial cultural goods”, in: N. A. Mhiripiri und T. Chari (Hg.): Media Law, Ethics, and Policy in the Digital Age, Hershey, Pennsylvania: IGI Global, 2017, S. 101–121.

*Röschenthaler, Ute und Mamadou Diawara (Hg.): Copyright Africa: How Intellectual Property, Media and Markets Transform Immaterial Cultural Goods. Canon Pyon: Sean Kingston Publishing, 2016.

Diawara, Mamadou und Ute Röschenthaler (Hg.): Competing Norms: State Regulations and Local Practice (Normative Orders Bd. 19), Frankfurt am Main: Campus, 2016.

*Diawara, Mamadou : „’La bibliothèque coloniale’, la propriété intellectuelle et la romance du développement en Afrique“, Canadian Journal of African Studies48(3), 2014, S. 445–461.

Diawara, Mamadou: „Justice in whose name: The domestication of copyright in Sub-Saharan Africa”, in: Gunther Hermann (Hg.): Justice and Peace. Interdisciplinary Perspectives on a Contested Relationship, Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag, 2013, S. 140–162.

Personen in diesem Projekt:

Projektleitung / Ansprechpartner

Diawara, Mamadou, Prof. Dr.

Projektmitarbeiter

Röschenthaler, Ute, Apl. Prof. Dr.

Aktuelles aus dem Forschungszentrum

Veranstaltung
14.07.2025 | Frankfurt

Utopie und Aufbruch der 1968er – Was von politischer Rebellion und individueller Selbstbefreiung geblieben ist

Podiumsdiskussion

Die Diskussionsrunde mit Rainer Langhans, Christa Ritter, die seit 1978 zur Selbsterfahrungsgruppe um Langhans gehört, und dem Sozialphilosophen Martin Saar widmet sich utopischen Vorstellungen, die von der 1968er Bewegung ausgingen, und beleuchtet deren Ideale, Impulse, individuelle und gesellschaftspolitische Nachwirkungen.

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Veranstaltung
15.07.2025 | Frankfurt am Main

Klimaethik - Ein Reader

Buchvorstellung

Vorstellung des Buchs mit Dr. Lukas Sparenborg (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaften an der Goethe-Universität) und Prof. Dr. Darrel Moellendorf (Professor für Internationale Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität, Distinguished Visiting Professor an der Universität Johannesburg, Mitglied des Forschungszentrums Normative Ordnungen)

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News
30.06.2025

Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich im EJPT erschienen

Der Artikel „Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?“ von Amadeus Ulrich ist soeben Open Access im European Journal of Political Theory (EJPT) erschienen. Ulrich bringt darin die Perspektive des radikalen Realismus mit der kritischen Theorie Adornos in einen produktiven Dialog.

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News
30.06.2025

Prof. Dr. Franziska Fay mit dem Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 ausgezeichnet

Prof. Dr. Franziska Fay (Juniorprofessorin für Ethnologie mit dem Schwerpunkt Politische Anthropologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und ehemalige Postdoktorandin des Forschungszentrums Normative Ordnungen der Goethe-Universität) erhält den Sibylle Kalkhof-Rose-Universitätspreis 2025 in der Kategorie Geistes- und Sozialwissenschaften.

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Publikation
25.06.2025 | Onlineartikel

Ideology and Suffering: What Is Realistic about Critical Theory?

Ulrich, Amadeus (2025): Ideology and suffering: What is realistic about critical theory? European Journal of Political Theory, 0(0).  https://doi.org/10.1177/14748851251351782

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News
24.06.2025

Neue Reihe „Vertrauensfragen“ in der Frankfurter Rundschau initiiert von Hendrik Simon

Demokratie lebt vom Streit – wenn er der gemeinsamen Suche nach Lösungen dient. An diesem Miteinander hakt es oft. Die neue FR-Reihe „Vertrauensfragen“ untersucht, initiiert von Hendrik Simon (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) Standort Frankfurt am Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität), woran das liegt und wie wir es besser machen.

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Publikation
23.06.2025 | Working Paper

Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina

Moreno, Guadalupe (2025): “Untrustworthy Authorities and Complicit Bankers: Unraveling Monetary Distrust in Argentina”. Max Planck Institute for the Study of Societies Discussion Paper 25/3.

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News
22.05.2025

Hat die deliberative Demokratie im Zeitalter von Oligarchen, Autokraten und Patriarchen eine Zukunft?

Am 3. Juni hält Prof. Simone Chambers einen Vortrag zum Wert von Demokratien und der Zukunft der Staatsform.

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Publikation
19.05.2025 | Sammelband

Klimaethik. Ein Reader

Sparenborg, Lukas; Moellendorf, Darrel (Hrsg.) (2025) : Klimaethik. Ein Reader. Suhrkamp.

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